Brandstifter und Biedermänner

Der Mann scheint sich nicht entscheiden zu können: Er ruft seine Anhänger auf, den Gegenkandidaten mit Respekt zu behandeln und erklärt gleichzeitig: «Ich werde ihn auspeitschen.» Doch der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain setzt diesen Widerspruch durchaus bewusst ein.

Walter Brehm
Drucken
Grossflächiges für Fans: Strassenhändler in Wilmington, North Carolina, bieten Bilder von Barack Obama und John McCain an. (Bild: rtr/Carlos Barria)

Grossflächiges für Fans: Strassenhändler in Wilmington, North Carolina, bieten Bilder von Barack Obama und John McCain an. (Bild: rtr/Carlos Barria)

Der Mann scheint sich nicht entscheiden zu können: Er ruft seine Anhänger auf, den Gegenkandidaten mit Respekt zu behandeln und erklärt gleichzeitig: «Ich werde ihn auspeitschen.» Doch der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain setzt diesen Widerspruch durchaus bewusst ein.

Etwas bleibt immer hängen

Im politischen Machtkampf gilt als Binsenwahrheit: Wer Schlamm wirft, kann damit rechnen, dass immer etwas hängen- bleibt. Die Frage der Parteistrategen lautet deshalb: «Wie viel Schlamm kann man auf den politischen Gegner werfen, ohne sich dabei selber allzu arg zu besudeln?» Die beiden Präsidentschaftskandidaten John McCain und Barack Obama befinden sich nicht wirklich in einem Dilemma zwischen Schlammschlacht und politisch korrektem Verhalten. Sie suchen lediglich nach der taktisch wirkungsvollsten Linie.

Taktische Rollenverteilung . . .

McCain lässt die härtesten Vorwürfe gegen Barack Obama von der republikanischen Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten vortragen, um selber als Wahlkämpfer zu erscheinen, der sich um Mässigung bemüht. Rückt Sarah Palin Obama in die Nähe von gefährlichen Extremisten, verteidigt McCain seinen Gegner als «anständigen Familienvater» und «ehrenwerten Bürger», mit dem er zwar fundamentale Differenzen habe, den er aber respektiere.

Und Barack Obama stellt sich stets als anständiger Kandidat dar, der selbst Steilvorlagen seiner Gegner nicht nutzt, diese persönlich anzugreifen. Die uneheliche Schwangerschaft der Tochter Sarah Palins bot sich geradezu an, das plakative Eintreten der Republikanerin für traditionelle Familienwerte als heuchlerisch anzuprangern. Obama sprach jedoch von einer «privaten Angelegenheit», die nicht in den Wahlkampf gehöre. Selbst der inzwischen bestätigte Machtmissbrauch der Gouverneurin aus Alaska fand bis anhin keinen Einzug in das rhetorische Arsenal Obamas.

. . . hüben wie drüben

Diese vornehme Zurückhaltung heisst jedoch nicht, dass sich auch das Umfeld des demokratischen Kandidaten selbiger befleissigt. Als Reaktion auf den Vorwurf, Obama werde von Linksextremisten unterstützt, warf der Bürgerrechtler John Lewis den Republikanern vor, sie führten eine Hasskampagne, die an den rassistischen Präsidentschaftswahlkampf des Südstaatlers George Wallace in den 60er-Jahren erinnere. Obwohl Lewis mit seinem Vergleich über das zulässige Mass an Polemik hinausgeschossen hatte, distanzierte sich Obamas Stab nur zweideutig : «John Lewis hatte recht, als er die hasserfüllte Rhetorik Palins anprangerte, von der sich ja auch McCain distanziert hat.»

Unterschwellige Rassenfrage

Die Episode ruft eine Facette des Wahlkampfs in Erinnerung, welche offiziell beide Seiten verleugnen, die aber vor allem die Republikaner in eine besondere Verantwortung stellt: die Hautfarbe Barack Obamas. Sarah Palin hat tatsächlich alte Geister wieder erweckt, als sie Obama als Mann beschrieb, «der Amerika nicht so sieht, wie Sie und ich Amerika sehen».

Damit hat sie zwar nicht von Obamas Hautfarbe gesprochen, ihn aber doch als Vertreter «des Anderen», des Unamerikanischen denunziert. Dies tat auch der «gemässigte» McCain. In der zweiten TV-Debatte münzte er eine Kritik nicht etwa in direkter Anrede auf seinen Kontrahenten, sondern abfällig an «den da», als Stünde Obama nicht auf Augenhöhe neben ihm.

Spiel mit dem Feuer

Woher rührt das ständige Lavieren beider Seiten zwischen Schlammschlacht und Sachlichkeit? Der Kampf um das Weisse Haus wird nicht in den demokratischen oder republikanischen Hochburgen entschieden, sondern überall dort, wo die wachsende Schicht von Wechselwählern entscheiden werden, die sich nicht per se einer Partei verbunden fühlen.

Deshalb versuchen die Wahlkampfstrategen mit Kraftrhetorik die jeweiligen Parteigänger zufriedenzustellen, ohne die Wechselwähler mit allzu überzogener Polemik abzuschrecken. Es ist ein Spiel mit dem Feuer.