Annegret Kramp-Karrenbauer erwägt Regeln für Youtuber vor Wahlen und löst damit einen Shitstorm aus. Ihr wird vorgeworfen, sich für Zensur einzusetzen.
«Die #CDU braucht keine Youtuber, um zerstört zu werden, das tun die von selbst! Liebe Annegret, halte durch!!! Wenn Du so weitermachst, dann schaffst Du es, die CDU auf 10% zu bringen.» Schön ist es nicht, was Annegret Kramp-Karrenbauer, AKK genannt, derzeit auf Twitter lesen muss, vielmehr tobt unter dem Hashtag «Annegate» ein Shitstorm gegen die CDU-Chefin. Sie trete, so die Kritik, für Zensur ein.
Ausgelöst hat AKK den Wirbel mit ein paar Betrachtungen nach der EU-Wahl, bei der die CDU deutlich verloren hatte. Mitschuld an der Niederlage gab sie auch jungen Youtubern, die kurz vor der Wahl dazu aufgerufen hatten, nicht CDU und nicht SPD zu wählen. Sie frage sich, «was wäre eigentlich in diesem Land los, wenn eine Reihe von, sagen wir mal, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD!», so Kramp-Karrenbauer und kam zu dem Schluss: «Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen.»
Zur Erklärung: In Deutschland ist es natürlich nicht verboten, aber unüblich, dass Zeitungen vor einer Wahl eine klare Empfehlung für eine Person oder eine Partei abgeben. Auch vor der EU-Wahl vor wenigen Tagen hatte kein Medium dies getan.
Andere hingegen hatten mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg gehalten. Begonnen hatte der in Deutschland recht bekannte Youtuber Rezo. Mit orangem Hoodie und blauen Haaren war er in einem Video zu sehen, in dem er die CDU eine knappe Stunde lang förmlich zerriss. Schon die Einleitung liess nichts Gutes erwarten. «Fuck, ist das heftig. Ich hab nicht gewusst, wie heftig das ist», sagt der 26-Jährige und nennt seinen millionenfach geklickten Beitrag «Die Zerstörung der CDU», wobei er der Ansicht ist, sie erledige diese Zerstörung gut selbst.
Untermalt von rund 250 Quellen (Videos, Grafiken, Statistiken) handelt er einige politische Themen ab, geht etwa mit der Klimapolitik hart ins Gericht. Experten plädierten dafür, möglichst bald mit «Kohle, Öl und so ’nem Shit aufzuhören», so Rezo. Deutschland aber steige erst 2038 aus der Braunkohle aus – obwohl klar sei, dass man so die Pariser Klimaziele nicht erreichen werde. «Sich selbst Ziele setzen und nicht einhal- ten – was ist das für ein inkompetenter Shit» meint er und höhnt, derlei kenne man nur von den Weight Watchers.
Die CDU versuchte zunächst, den Youtuber zu diskreditieren, nach dem Motto: Er vermischt alles mögliche zu einem unseriösen Brei. Kramp-Karrenbauer erklärte: «Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwortlich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab» und wurde im Netz prompt belehrt, es seien zehn Plagen gewesen. Ausserdem solidarisierten sich 70 Youtuber mit Rezo und riefen zum Boykott von CDU und SPD bei der EU-Wahl auf. Das störte AKK offenbar, denn sie frage nach der Wahl: «Welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich?» Darüber müsse man sich «offensiv» unterhalten.
Es folge ein Aufschrei, nicht nur im Netz. Kaum äussere sich ein Youtuber kritisch, «fabuliert Annegret Kramp-Karrenbauer über die Beschränkung der Meinungsfreiheit im Wahlkampf», sagt Bundestag-Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) und fügt hinzu: Man kann nur hoffen, es ist Hilflosigkeit und nicht politische Überzeugung.» Auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) ätzt: «Jetzt haben wir jahrelang diskutiert, die Leute beteiligen sich zu wenig an der Politik. Jetzt, wo das etwas dynamisch läuft, sind alle gleich wieder erschrocken, zum Teil sogar hilflos.»
Kramp-Karrenbauer fühlt sich missverstanden und wehrt sich via Twitter: «Es ist absurd, mir zu unterstellen, Meinungsäusserungen regulieren zu wollen. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in der Demokratie. Worüber wir aber sprechen müssen, sind Regeln, die im Wahlkampf gelten.»
Unter Druck ist aber nicht nur sie, sondern auch SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles. Sie tritt nun die Flucht nach vorne an und will die eigentlich für den Herbst geplante Neuwahl des Fraktionsvorsitzes auf nächste Woche vorziehen.