Merkel läutet Ende einer Ära ein: Die vier wichtigsten Fragen und Antworten

Das Land steht vor einer Zäsur: Nach 18 Jahren gibt Kanzlerin Angela Merkel den CDU-Vorsitz aus der Hand. Ein Abschied von der Macht auf Raten. In der CDU droht nun ein Richtungsstreit. Ein alter Rivale Merkels wirft seinen Hut in den Ring.

Christoph Reichmuth, Berlin
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Angela Merkel kündigte gestern ihren Rücktritt aus der Politik auf 2021 an. (Bild: Omer Messinger/EPA)

Angela Merkel kündigte gestern ihren Rücktritt aus der Politik auf 2021 an. (Bild: Omer Messinger/EPA)

Der 29. Oktober 2018 dürfte in die jüngere deutsche Geschichte eingehen. Angela Merkel, seit 13 Jahren Bundeskanzlerin, seit 18 Jahren Parteichefin der CDU, hat bekannt gegeben, dass sie nicht mehr als Parteivorsitzende kandidieren werde. Zugleich betonte die 64-Jährige, sie wolle ihre vierte Amtszeit als Bundeskanzlerin bis 2021 zu Ende führen. Danach ziehe sie sich vollständig aus der Politik zurück.

Warum verzichtet Merkel auf den CDU-Vorsitz?


Merkel musste erkennen, dass sie nicht mehr die Kraft besitzt, ihre Partei aus dem Umfragetief zu führen. Bereits bei den Bundestagswahlen 2017 mussten die Unionsparteien erhebliche Verluste in Kauf nehmen, das Vertrauen in die Volksparteien, nicht zuletzt aber auch in die von Merkel geführte CDU, schwand nach und nach. Nach den Wahlen brauchte Merkel – nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche – Monate bis zur Bildung einer neuen Regierung mit der SPD.

Die erst seit Ostern arbeitende Grosse Koalition macht vor allem durch Streitereien von sich reden. Auch der Konflikt zwischen CSU und CDU im Sommer sorgte für sinkende Zustimmungswerte. Sämtliche Parteien der Berliner Regierung haben bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen massiv an Wählerzuspruch eingebüsst, auch in bundesweiten Umfragen zeigt der Trend dramatisch nach unten.

«Das Bild, das die Bundesregierung abgibt, ist inakzeptabel», sagte Merkel gestern. Der Wahltag von Hessen sei eine «Zäsur», nach der die Union «alles auf den Prüfstand» stellen müsse. «Ich habe das sichere Gefühl, dass es an der Zeit ist, ein neues Kapitel aufzuschlagen», sagte Merkel.

Was bedeutet der Rückzug Merkels für die CDU?


Die Partei wurde 18 Jahre lang entscheidend von Merkel geprägt. In dieser Epoche hat sich die einst konservative Kraft liberalisiert und modernisiert. Früher noch undenkbar, ebnete die Partei unter Merkels Ägide etwa die gleichgeschlechtliche Partnerschaft, beschloss das Land den Atomausstieg und beendete die allgemeine Wehrpflicht. Nicht zu vergessen die Phase des Herbsts 2015, als sich Parteichefin und Kanzlerin Merkel den Ruf der «Flüchtlingskanzlerin» einholte.

Laut CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ist der Streit um den Kurs in der Flüchtlingskrise für die Partei bis heute vergleichbar mit den Einschnitten für die SPD nach Schröders Arbeitsmarktreform Agenda 2010. Allerdings verlieren die Unionsparteien nicht per se wegen der Umstände von Herbst 2015, wie die beiden letzten Landtagswahlen gezeigt haben. Die CSU in Bayern gerierte sich als Kritikerin von Merkels damaligem Kurs und verlor dennoch 10 Prozent.

Die CDU in Hessen zeigte sich merkelfreundlich und büsste ebenfalls 10 Prozent ein. Der Parteitag beziehungsweise die Wahl des neuen Vorsitzenden wird zeigen, in welche Richtung sich die CDU bewegen wird. «Es kommt zu einer Richtungswahl zwischen dem konservativ-linksliberalen und einer konservativ-bürgerlichen Richtung», prophezeit der Dresdner Politikwissenschafter Hans Vorländer.

Was heisst Merkels Rückzug vom Parteivorsitz für ihre Kanzlerschaft?


Das ist stark davon abhängig, wer künftig die CDU führen wird. Wird es der konservative Merkel-Gegenspieler Friedrich Merz, dürfte es für die Kanzlerin ungemütlich werden – behält Merkels Vertraute Kramp-Karrenbauer die Oberhand, könnte das von Merkel gewünschte Tandem funktionieren. Allerdings ist es fraglich, ob sich Merkel nach ihrem angekündigten Rückzug auf Raten bis 2021 im Amt halten kann.

Politologe Hans Vorländer gibt zu bedenken: «Mit dem Rückzug vom CDU-Vorsitz alleine ist der Druck noch nicht aus dem Kessel. In den Augen vieler Bürger ist sie zu lange im Amt, die Flüchtlingskrise wird direkt mit ihr in Verbindung gebracht. Die Kanzlerin wird deshalb parteiintern bald unter Druck geraten, vorzeitig den Staffelstab an den amtierenden Parteivorsitzenden abzugeben.» Mittel- bis langfristig werde Kanzlerschaft und Parteivorsitz bei der CDU wieder in eine Hand gelegt.

Was bedeutet Merkels teilweiser Rückzug für die Koalitionspartner SPD und CSU?


SPD-Chefin Andrea Nahles hat angekündigt, trotz miserabler Umfragewerte und zwei groben Niederlagen nicht vom Parteivorsitz zurücktreten zu wollen. Die SPD will sich wohl auch mit Blick auf die schwachen Umfragewerte noch etwas in der Regierung halten, da Neuwahlen riskant sind. Die SPD diktiert den Unionsparteien klare Bedingungen für den Verbleib in der Regierung, ansonsten wollen die Genossen die Koalition verlassen. Vorländer ist überzeugt, dass es früher oder später so weit kommen wird.

«Die SPD muss sich aus dieser Koalition befreien, um wieder zu einer eigenen Identität zu finden.» Eine kleine Chance für die SPD: Rückt die CDU unter der neuen Führung wieder etwas weiter nach rechts, kann die Partei wieder sichtbarer werden. Eines der Probleme der SPD war nicht zuletzt der «Linksrutsch» der Union unter Merkel. Und die CSU? Mit Merkels Rücktrittsankündigung bringt sie vor allem CSU-Chef Horst Seehofer in die Bredouille.

Was er nicht geschafft hat – nach schlechten Wahlresultaten als Parteichef zurücktreten –, macht ihm Merkel vor. Seehofers Zeit an der CSU-Spitze und als Innenminister dürfte bald gezählt sein. Das glaubt auch Politologe Vorländer: «Der Druck auf Seehofer wird immer grösser.»