Die Hungersnot in Ostafrika wütet nicht nur in Somalia. Auch im Norden Kenias, der reichsten Nation Afrikas, verhungern Menschen. Viele Afrikaner spenden, doch die Kassen ihrer Regierungen bleiben der Solidarität verschlossen.
Etwa 2,4 Millionen Menschen sind in Kenia derzeit von Hunger bedroht – vor allem im Nordwesten des Landes in der Region um den Turkana-See. Seit zwei Jahren hat es hier nicht mehr geregnet. «Alles trocknet aus, auch wir», sagen die betroffenen Menschen.
Die Turkana sind Kenias drittgrösste Ethnie. Fast die Hälfte ihrer Kinder gilt als unterernährt. Und Kinder, die noch gesund sind, gehen immer seltener zur Schule. Sie müssen ihren Eltern helfen, Holz und andere noch verfügbare Waren aus entlegenen Dörfern auf die Märkte in den Städten zu tragen.
Dürren sind für die Turkana nichts Unbekanntes. Doch früher kamen sie etwa alle sieben Jahre über das Land. Jetzt erleben die Menschen in der Region alle zwei bis drei Jahre Dürreperioden. Und wenn es öfters lange nicht regnet, verendet das Vieh, bleiben Ernten aus, und es kommt der Hunger.
«Und es gibt noch Schlimmeres», erzählt ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation: «In ihrer Not verkaufen immer mehr Eltern ihre minderjährigen Töchter an Männer, die junge Mädchen mögen.» Seinen Namen will der Informant nicht nennen, denn die Männer, die sogenannte «Dürre-Bräute» kaufen, sind einflussreiche Leute – oft Lehrer, Beamte, Anwälte oder auch Politiker. Es geht das Gerücht um, der aktuelle Preis für eine Tochter liege umgerechnet etwas über 100 Franken.
Dürreperioden sind auch in Kenia unzweifelhaft der Klimaveränderung geschuldet. Dass sie das Land aber ein ums andere Mal schlecht vorbereitet treffen, hat mehr mit Kenias Politikerkaste zu tun als mit dem Klima. Das an sich wohlhabende Land zahlt einen hohen Preis für eine prekäre politische Stabilität. Nach den Wahlen Ende 2007 wurde der Streit um das Ergebnis blutig ausgetragen.
Über 1000 Tote forderten damals die Machtkämpfe, die mächtige Politiker entlang der ethnischen Grenzen im Land schürten, bevor sie sich in eine «Grosse Koalition» flüchteten, in der nun doppelt so viele Amtsträger wie zuvor mit einem Posten und satten Bezügen versorgt werden mussten. Kenia hat heute wohl die teuerste Regierung der Welt.
Ob die Verantwortlichen der Gewalt nach den letzten Wahlen juristisch belangt werden können, ist noch nicht entschieden. Aber die nächsten Wahlen stehen bereits vor der Tür. Und da haben Parlament und Regierung viel zu tun. Etwa dies: Nach der neuen Verfassung des Landes müssen politische Mandatare ihre Bezüge – oft über 10 000 Dollar im Monat – erstmals versteuern. Nun streiten sie seit Monaten darüber, ob sie nicht einfach ihre Diäten um den Betrag der fälligen Steuern erhöhen sollen. Wer kann bei diesem Stress in Nairobi schon den drohenden Hunger in einer fernen Provinz erkennen?
Derweil haben in Kenias Städten Bürger, Intellektuelle, Künstler und Hilfsorganisationen Spendenaktionen ins Leben gerufen. «Afrikaner, tut etwas für Afrika», heisst die Kampagne. Da zählt jeder Schilling, der über Mobiltelefon gespendet wird, und jede Naturalgabe, die entbehrt werden kann. «Viele spenden aus Scham über das Unvermögen der Regierung, denn die Hungernden leben unter inakzeptablen Bedingungen», sagt Abbas Gullet, der Chef des Kenianischen Roten Kreuzes.
Doch der Unmut über die Politiker trifft nicht nur jene in Kenia. «Afrikanische Machthaber fordern an internationalen Gipfeln Hilfe und tun selber nichts – obwohl sie das könnten», sagt Irungu Houghton, der für das britische Hilfswerk Oxfam arbeitet.
Doch afrikanische Staatskassen bleiben verschlossen. Nur 4 der 52 Staaten des Kontinents haben bisher gespendet: Südafrika hat eine Million Dollar lockergemacht – und liegt damit an der Spitze. Kenias Bürger haben in nur zwei Wochen fast das Dreifache gesammelt. «Länder wie Nigeria, Südafrika oder Algerien könnten problemlos je mindestens sechs Millionen Dollar Hilfe aufbringen», sagt Irungu Houghton.