Afghanistan-Krise
Joe Biden richtet klare Worte an Kabuls Terroristen: «Wir werden nicht verzeihen und wir werden nicht vergessen»

Nach dem Selbstmordattentat am Flughafen von Kabul will der amerikanische Präsident Jagd auf die Terroristen machen. Joe Biden hält aber auch an seinem Plan fest, bis am 31. August sämtliche US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen.

Renzo Ruf, Washington
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Der amerikanische Präsident Joe Biden sprach am Donnerstag im Weissen Haus über die getöteten 13 US-Soldaten.

Der amerikanische Präsident Joe Biden sprach am Donnerstag im Weissen Haus über die getöteten 13 US-Soldaten.

Stefani Reynolds / Pool / EPA

Am schwärzesten Tag seiner Präsidentschaft war der notorisch unpünktliche Joe Biden für einmal nur 24 Minuten verspätet. Als er am Donnerstagabend im East Room des Weissen Hauses vor die Medien trat, um einem erschütterten Land etwas Mut zuzusprechen, da wirkte der 78 Jahre alte Demokrat aber sichtlich müde. Und etwas ratlos.

Zwar hatte die amerikanische Regierung in den vergangenen Tagen immer wieder vor der Terrorgefahr am Flughafen von Kabul gewarnt und den eigenen Staatsbürgern geraten, sich nicht unter die Menschenmassen am Perimeter des Hamid Karzai International Airport zu mischen. Aber insgeheim hatte das Weisse Haus wohl gehofft, dass die Evakuierung von Zehntausenden von Menschen am kommenden Dienstag ohne Blutvergiessen abgeschlossen werden könnte.

Dabei zählten die Amerikaner auch, so absurd dies angesichts der langen Geschichte des Konfliktes in Afghanistan klingen mag, auch auf die Unterstützung der Taliban. Diese bewachten, in Absprache mit den amerikanischen Streitkräften, die Zufahrtswege zum Flughafen. Und unternahmen dabei zumindest den Versuch, die Menschen zu kontrollieren, die evakuiert werden wollten. Das Kalkül des Weissen Hauses: Weil die neuen Machthaber Afghanistans die Besatzungstruppen so schnell als möglich loswerden wollen, hätten die Taliban ein grosses Interesse daran, terroristische Kräfte wie den Islamischen Staat zu bekämpfen.

Biden droht den Terroristen mit Vergeltung

Selbstmordattentäter der Terror-Organisation IS zerstörten am Donnerstag dieses brandgefährliche Kalkül. Sie sprengten an einem Eingangstor zum Flughafen nicht nur Dutzende von Zivilisten in die Luft, sondern töteten auch 13 amerikanische Soldaten, die den Hamid Karzai International Airport bewacht hatten – und sorgten, kurz vor Abschluss des 20. Besatzungsjahres, für einen der blutigsten Tage im «ewigen Krieg».

Ein Opfer der Terroranschläge am Flughafen Kabul muss verarztet werden.

Ein Opfer der Terroranschläge am Flughafen Kabul muss verarztet werden.

Keystone

Also musste Biden in Washington erneut vor die Medien treten, und seine Entscheidung vertreten, sämtliche Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Dies fiel dem Präsidenten, zumindest anfänglich, sehr schwer. So sprach er über seinen Sohn Beau, der an einer seltenen Krebserkrankung gestorben war – als ob dies die Trauer einer Witwe oder eines Vaters, der sein Kind verloren hat, mindern würde.

Dann versuchte es Biden mit einer Prise Hurra-Patriotismus, die für einmal angebracht war. Über die getöteten Soldaten, fast allesamt Marineinfanteristen, sagte er: «Sie waren Helden – Helden, die Teil einer gefährlichen, selbstlosen Mission waren, um das Leben anderer zu retten.» Zu den Terroristen, die das Blutbad verursacht hatten, wiederum sagte Biden:

«Wir werden nicht verzeihen und wir werden nicht vergessen.»

Amerika werde die Täter jagen und sie zur Verantwortung ziehen, kündigte der amerikanische Präsident an.

Aber Biden verriet nicht, wie dies realistischerweise vonstattengehen soll. Denn er sagte auch, dass er kein Interesse daran habe, an seinen Plänen zu rütteln. Vielmehr bekräftigte er, dass seine Regierung «die Mission» abschliessen werde, sämtliche Truppen bis am 31. August abzuziehen. «Amerika wird sich von Terroristen nicht einschüchtern lassen», sagte Biden – als habe der Islamische Staat den Abzug verhindern wollen.

Und dann verwies er darauf, dass die westlichen Streitkräfte auch nach den Selbstmordanschlägen weitere 7500 Menschen aus Kabul evakuiert hätten. Seit dem 14. August wurden damit mehr als 104'000 Menschen aus der afghanischen Hauptstadt ausgeflogen. Die Zahl der in Kabul festsitzenden US-Staatsbürger soll von etwa 6000 auf einige wenige Hundert geschrumpft sein, hiess es aus dem Aussenministerium.

Das sind eindrückliche Zahlen, auch wenn die historischen Vergleiche, die das Weisse Haus auch nach dem Blutbad vom Donnerstag zog («die grösste Luftbrücke in der Geschichte Amerikas», sagte Biden-Sprecherin Jen Psaki), zunehmend unpassend klingen. Aber es stimmt halt auch, dass der Regierung Biden in den vergangenen Tagen einige grobe Fehler unterlaufen sind. Wohl auch, weil Berater des Präsidenten das Gefühl hatten, dass sich die heimischen Wähler letztlich nicht wirklich für Aussenpolitik interessierten.

Biden sagt, er mache sich keine Illusionen über die Taliban

Biden machte alles noch schlimmer, weil er schlecht kommunizierte, berechtigte Kritik ignorierte und sich halsstarrig gab. Auch am Donnerstag verteidigte er das Vertrauen, das die Amerikaner in die neuen Machthaber Afghanistans gesetzt hatten. Die Taliban, führte der Präsident aus, seien keine «good guys», keine guten Typen. Da mache er sich keine Illusionen.

Sie hätten sich aber nach dem Versagen der regulären afghanischen Streitkräfte an die gemachten Versprechen gehalten. Auch deshalb seien in den vergangenen 18 Monaten in Afghanistan keine US-Soldaten getötet worden, sagte Biden, mit Verweis auf den Friedensvertrag, den sein Vorgänger Donald Trump mit den Taliban abgeschlossen hatte.

Passend ist, dass Biden seinen einzigen öffentlichen Auftritt am Donnerstag mit den Worten abschloss, er bereue seine Entscheidung, die Stationierung amerikanischer Truppen in Afghanistan zu beenden, nicht. «Es war Zeit, einen Krieg zu beenden, der seit 20 Jahren andauert», sagte der amerikanische Präsident. Dann drehte er sich um, und lief davon.