Notvorräte Wie tickt ein Mensch, der Strahlenmesser, Wasserfilter und Dosenessen für den Ernstfall verkauft? Zu Besuch bei Reto Schätti, der zurzeit von der Weltuntergangshysterie profitiert. Lukas G. Dumelin
Seine Firma kommt in seinem Traum nicht vor. «Ich wünsche mir eine Welt», sagt Reto Schätti, «die mein Geschäft gar nicht braucht.» Das ist ein Satz, der an die Rhetorik mancher Politiker erinnert: Ich will es nicht tun, aber die Menschen verlangen es von mir. Letztlich geht's um nichts Geringeres als die eigene Zukunft. Früher, sagt Schätti, habe man noch Vorkehrungen getroffen. Mütter und Grossmütter hätten mit Vorräten die Keller gefüllt, heute gehe man um 22 Uhr noch zum Migrolino, wenn man abends Hunger habe. «Was wäre», fragt Schätti, «wenn etwas Schlimmes passiert – und du nicht gerüstet bist?»
Schätti ist noch jung, 33 ist er erst. Er sehnt sich nicht nach Katastrophen, nicht nach dem Tod, aber nach Sicherheit. Vor kurzem ist er Papa geworden. Im Büro hängt ein Foto, das den kleinen Max zeigt. Auf dem Strampler prangen Name und Logo von Schättis Betrieb. «Sichersatt» steht in schwarzen Buchstaben auf gelbem Grund. Gelb und Schwarz sind Farben, die man vom Zeichen für Radioaktivität kennt. Das ist Zufall, vielleicht auch nicht, es passt auf jeden Fall: Schätti, der gelernte Koch, hat sich 2010 mit einer Firma selbständig gemacht, die Notvorräte für den Ernstfall verkauft. Unterdessen beschäftigt er zwei Mitarbeiter.
Reto Schätti lebt im zürcherischen Wald. Friedlich ist es hier, das Tösstal versinkt im Schnee, Kinder schlitteln, ein Hund zieht sein Frauchen durchs Quartier. In der Nähe seiner Wohnung hat Schätti den Hauptsitz eingerichtet. Sein Reich ist eine kuriose Mischung zwischen Outdoorshop, Supermarkt und Antiquitätenhandel: Radios zum Kurbeln stehen neben Gusseisentöpfen, Sturmkochern, Strahlenmessern, Wasserfiltern, Petrollampen und mobilen Toiletten. Hinten im Lager stapeln sich die Lebensmittel, von denen auch Schätti hofft, dass man sie nie brauchen wird: Milchpulver, Risottoreis, Kichererbsen, Appenzeller Fleischkäse, Hirschpfeffer, alles in Dosen und zwanzig Jahre haltbar.
Die Produkte verschickt Schätti in Paketen, 20 bis 100 Sendungen seien es pro Tag, es gibt günstige Einsteigersets und Komplettlösungen mit gefriergetrocknetem Fleisch. Mit dem Luxuspaket könnten vier Personen ein halbes Jahr lang überleben. Diese Vorsorge hat ihren Preis: 6990 Franken. Wer satt untergehen will, muss tief in die Tasche greifen.
Nein, er betreibe kein Geschäft mit der Angst, sagt Schätti. Angst, Panik, Weltuntergang – solche Reizwörter mag er nicht. Er muss sie nicht mögen, sonst würde man ihn in eine esoterische Ecke drängen. «Es ist Chabis, an ein fixes Datum zu glauben, an dem die Welt untergehen soll», meint er. Und doch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Verunsicherung sein Geschäft und jenes der Konkurrenz beflügelt (siehe Kasten). Wenn die Apokalyptiker am 21. Dezember das Ende erwarten, weil der Maya-Kalender eine Zäsur vorsieht, werden viele vorgesorgt haben. Sollte es tatsächlich fertig sein mit allem Leben, wäre das aber blöd: Dann wäre auch jeder Notvorrat überflüssig.
Er denke da realistischer, sagt Schätti. Er holt aus, hebt die Stimme, redet schnell. Der 21. Dezember sei zwar Gugus, aber trotzdem müsse man zusehen, was abgehe da draussen. «Es wäre gut, wenn die Welt zwei Gänge runterschalten würde.» Jedes Kind sehe, dass das nicht gut komme, das alles. Gierige Banker, überforderte Politiker, drohende Umweltkatastrophen. Dann braucht Schätti eines seiner Lieblingswörter: «Jede Zelle muss sich rüsten.» Die Zeiten, in der jede Zelle, also jede Familie, jedes Dorf sich selber versorgte, seien vorbei. «Früher gab es überall noch einen Metzger und einen Beck. Heute überleben nur noch die grossen Unternehmen.» Geliefert werde «just in time», Reserven habe keiner mehr.
Die Ironie der Geschichte ist, dass auch Schätti ausbaut. Er expandiert nach Deutschland. Ein logischer Schritt, findet er: 20 Prozent der Bestellungen kämen so oder so schon von Deutschen. In Rielasingen, ennet der Grenze, unweit von Stein am Rhein, eröffnet Schätti eine Filiale. Ein Unternehmer, sagt er, müsse eben mit der Zeit gehen. Nostalgiker darf er trotzdem bleiben. Und darum betont er diesen einen Satz: «Ich wünsche mir eine Welt, die mein Geschäft gar nicht braucht.»