Vom Waffenplatz zum Luxusresort: Ein Buch ergründet, was sich derzeit in Andermatt abspielt.
Auf den Bänken im Festzelt sitzen die Andermatter Rücken an Rücken und Ellbogen an Ellbogen, auf dem Tresen stehen Beinschinken und Kartoffelsalat bereit. Die Fotos könnten von irgendeinem Dorffest stammen. Doch es ist kein gewöhnliches Dorffest, an jenem 26. September 2009 in Andermatt. Es ist der Tag des offiziellen Spatenstichs für das Luxusresort des ägyptischen Investors Samih Sawiris. Der Tag, nach dem vieles im Dorf nicht mehr gewöhnlich war.
Die Bilder vom etwas anderen Dorffest sind zu finden im Buch «Andermatt im Umbruch», das den Wandel des Bergdorfes im Herzen der Schweiz und seine Begleitumstände nachzeichnet.
Am Anfang des Buchprojekts stand die Neugier der Fotografen Franca Pedrazzetti und Beat Brechbühl, Auswärtigen mit enger Beziehung zu Andermatt. Weil sie sich vom angekündigten Grossprojekt mit Hotels, Appartements, Villen und Golfplatz keine Vorstellung machen konnten, beschlossen sie, einfach mit der Kamera festzuhalten, was passierte. Sie klingelten bei Bauernhöfen, stellten Fragen, hörten zu, wollten verstehen. Und sie fotografierten.
Später kamen die Geographin Verena Meier und der Ethnograph Robert Kruker dazu. Dass auch für sie die Bauernfamilien im Zentrum des Interesses standen, ist plausibel: Während die ausserhalb der Landwirtschaft tätige Bevölkerung einen Entwicklungsschub des Dorfes unbefangener als wünschbar betrachten konnte, ging es für die Bauernschaft um die eigene Existenz. Ein Miteinander von Landwirtschaft und Tourismus, wie es sich in vielen Berggebieten im Lauf von hundert Jahren einigermassen gut eingespielt hatte, schien bei den gigantischen Dimensionen des Sawiris-Projekts nicht mehr denkbar.
«Andermatt im Umbruch» erzählt die jahrhundertelange Vorgeschichte des Dorfes am Transitkreuz in den Alpen und folgt dem Hin und Her, dem Auf und Ab seit dem Erscheinen des ägyptischen Investors. Und bleibt immer ganz nah bei den Menschen: Es erzählt von Auseinandersetzungen, Bedenken, Ängsten, Hoffnungen und Enttäuschungen.
Das Spannungsfeld, in dem der Wandel des Dorfes vor sich geht, zeigt sich auch in den zahlreichen Fotos. Die letzten Soldaten auf dem Waffenplatz, Skisportler am Gemsstock, Bauernalltag, abbruchbereite Häuser, Modelle, Infoabende, Prominentenbesuche, Baustellen. Die ungeheuer dichten Bildstrecken als Ergänzung zu den fundierten Textkapiteln machen das Buch zu einer hochspannenden Dorfgeschichte der anderen Art – mit offenem Ausgang. Ob das Resort Andermatts geglückter Sprung in die Zukunft ist? «Wenn man es nicht probiert, dann weiss man nicht, wie es ist», sagt der alt Talammann.
Robert Kruker, Verena Meier, Beat Brechbühl, Franca Pedrazzetti: Andermatt im Umbruch. Rotpunktverlag, Zürich 2012. Fr. 44.–