Leitartikel
Eine Kulturagenda mit Hintergedanken

Beide Basel finanzieren den neuen digitalen Veranstaltungskalender. Letztlich erhalten sie damit ihr eigenes Subventionssystem.

Patrick Marcolli
Patrick Marcolli
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Kultur, Kultur – und wie erreicht man das Publikum?

Kultur, Kultur – und wie erreicht man das Publikum?

Bild: Kenneth Nars (Archiv bz)

Es war und ist zum Verzweifeln: Die Gesellschaft steckt in einer – nicht nur pandemiebedingten – Krise. Und auf der Seite der Kulturschaffenden und Intellektuellen? Nichts als Schweigen. Einzig Sibylle Berg, die wohl bedeutendste Denkerin unseres Landes, wagte sich beim Covid-Gesetz aus der Deckung. Und bekam von zahlreichen weniger bemittelten Kolleginnen und Kollegen umgehend und nicht ganz ihrem Niveau entsprechend auf den Deckel.

Wie sehr wünschte man sich Stimmen zur Lage der Welt, der Nation und – ja – auch der Region, die sich abheben vom biopolitischen Diskurs der Politiker und Virologen, die tiefer gehen, längerfristige Horizonte anpeilen. Stattdessen Stille.

Ah, nein. Da war noch was in der vergangenen Woche. Sehr zur Freude der hiesigen Kulturschaffenden gibt es neu eine Kulturagenda (www.agendabasel.ch). «Inspirationsquelle, Orientierungshilfe und ein Vermittlungsraum» will die Seite sein «für Menschen, die sich grundsätzlich für Kultur oder kulturell geprägte Freizeitangebote interessieren» Die Agenda ist neu, die Begründung dafür nicht: Die traditionellen Medien deckten dieses Bedürfnis nicht mehr ab, die Kultur erreiche ihr Publikum folglich nicht mehr. Und so weiter.

Ein Achtungserfolg

Finanziert wird die neue Agenda unter anderem von den beiden Halbkantonen. In der Verwaltung teilt man die Skepsis gegenüber den sich im vermeintlichen Sinkflug befindenden Medien schon länger und stellt immer wieder mal Videojournalisten und sonstige Fachkräfte an, um Regierungsmitglieder beim Velofahren in der Stadt und im Grünen zu filmen und diese epischen Ereignisse auf den beliebten Youtube-Kanal zu stellen. Dort werden sie von gut und gern drei Dutzend Interessierten konsumiert, was angesichts der schwindenden Auflage von Tageszeitungen einen Achtungserfolg darstellt.

Folgerichtig findet der Staat auch Gefallen an einer neuen Kulturagenda. Dabei geht es ihm zuvorderst um die kulturellen Inhalte und um den Kampf gegen den Niedergang unserer aufklärerischen Werte. Eine Botschaft ohne Botschaftsempfangende ist nichts wert, daran gibt es keinen Zweifel - cherchez le public!

Ganz ohne Hintergedanken geht es nicht. Die Tatsache, dass hochsubventionierte Betriebe sich eine Agenda subventionieren lassen, führt uns auf die richtige Spur. Ja, der Staat hat natürlich auch ein grosses Interesse daran, dass die Institutionen, die er jährlich mit viel Geld fördert, auch wahrgenommen werden und auf Leistungsschau gehen können. Eine hohe öffentliche Wahrnehmung ist für das Fördergesuch, das jährlich von den Künstlerinnen und Künstlern wie Institutionen eingereicht wird, nur förderlich. Im Grunde ist die neue Kulturagenda ein Paradebeispiel für ein System, das in sich geschlossen ist und sich selbst erhält. Ein Perpetuum Mobile, kreiert von Geber für Empfänger und Empfänger für Geber.

Ein Kuddelmuddel

Verlockend sind solche Angebote ebenso für bestimmte Medien. Nämlich jene, die sich mit ihrer Eigenleistung gerade im eher traditionellen Kulturbereich bislang nicht sonderlich auszeichnen konnten oder wollten. Die Basler Kulturagenda sucht laut Konzept Mitstreiter, beziehungsweise die «Nutzung von Schnittstellen» unter anderem zu Online-Publikationen wie Tsueri.ch oder auch dem in Basel beheimateten Portal «Bajour». Sie wären unter dem journalistischen Open-Source-Projekt «we.publish» vereint, das landesweit den Austausch von journalistischen Inhalten propagiert, also auch von Artikeln aus den Kulturressorts von diversen Publikationen, unter anderem den so verschmähten Kultur-Restredaktionen des guten alten Print.

Aus dem perfekten System in der Region Basel würde so ein Kuddelmuddel von Kulturagenda, Kulturkritik mit Rundum-Abhängigkeiten und Subventionen von Staat bis Stiftungen. Und letztlich, als unbeabsichtigte, aber wohl unvermeidliche Konsequenz, ein weiterer Abbau des kritischen, inhaltlich kompetenten Kulturjournalismus. Und die Inhalte der dargebotenen Kultur? Davon ist so gut wie nie die Rede. Deshalb behelfen wir uns mit einem Zitat der Kulturagenda: «Kultur für Dich. Wir haben 527 Ideen für dein ganz eigenes Kulturbedürfnis». Man wünschte sich, die Kulturschaffenden hätten Ideen.