Die politische Mitte tut ihren Dienst

Nach der Aufsplitterung der Mitte in den Wahlen 2011 sind die Mehrheiten unberechenbarer geworden. Und der Kompromiss lässt oft länger auf sich warten. Gegenüber Bundesrat und Verwaltung trete das Parlament selbstbewusster auf, bilanziert der Politologe Daniel Schwarz.

Christian Kamm
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Das Parlament lässt den Bundesrat immer wieder auflaufen. (Bild: ky/Peter Schneider)

Das Parlament lässt den Bundesrat immer wieder auflaufen. (Bild: ky/Peter Schneider)

Sieben Stunden hatte der Nationalrat debattiert. Und die 140seitige Vorlage zur Weiterentwicklung der Armee in einem parlamentarischen Marathon bis ins kleinste Detail durchberaten. Dann kam der grosse Knall. Ausgerechnet die SVP stimmte im Juni im Verbund mit den Armeekritikern in der Gesamtabstimmung gegen den eigenen Bundesrat. Mit dieser «Unheiligen Allianz» war die Nein-Mehrheit perfekt. Noch ist die Armeereform nicht definitiv gescheitert. Trotzdem stellt sich die Frage: Wie symptomatisch ist dieser politische Scherbenhaufen für die Arbeit des eidgenössischen Parlaments in der bald zu Ende gehenden Legislatur?

Bedeutendes versenkt

Die Antwort des Politologen lautet: Nicht symptomatischer als in früheren Legislaturperioden. Daniel Schwarz vom Berner Forschungsnetzwerk Politools hat seit Beginn dieser Legislatur 2011 lediglich eine «Unheilige Allianz» gezählt, die eine bundesrätliche Vorlage definitiv zu Fall gebracht hat (IV-Reform, 2013). In den vier Jahren davor waren es hingegen sechs. Unter dem Strich wurden von 2011 bis heute 15 Vorlagen des Bundesrats vom Parlament versenkt. Immer noch weniger als in der Legislatur 2007 bis 2011 (23). Zahlen allein sagen aber auch in diesem Fall nicht alles. Mehr noch zählt die Bedeutung der einzelnen Vorlagen. Das Parlament habe in den vergangenen Jahren Gewichtiges versenkt, findet auch Schwarz: Neben der IV-Reform zum Beispiel auch die «Lex USA», das Kartellgesetz oder das Erbschaftssteuerabkommen mit Frankreich.

Es wird weiter kooperiert

Dennoch halten sich laut dem Politologen die Auswirkungen der nach den letzten Wahlen 2011 vielbeschworenen «Aufsplitterung der Mitte» im Parlament in Grenzen. Damals legten die kleinen Mitteparteien GLP und BDP zu, die CVP, als traditionelle Vermittlerin zwischen den Polen, verlor. «Die Kooperation im Parlament ist nach wie vor da», zieht Schwarz Bilanz. Starke Ausschläge in die eine oder andere Richtung habe es keine gegeben, «vielmehr fand eine gewisse Konsolidierung statt».

Das heisst jedoch nicht, dass unter der Bundeshauskuppel alles beim alten geblieben ist. «Dass sich die grösste Partei meist als Opposition sieht, macht es nicht einfacher», kritisiert etwa SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin (SZ) die SVP. «Die Mehrheiten sind fragiler geworden», hat der Freisinnige Walter Müller (SG) beobachtet, der seit 2003 im Nationalrat sitzt. Vor allem im Ständerat fielen die Entscheide knapper als früher.

Schwarz teilt diesen Befund. Nachdem die Linke und die GLP 2011 zugelegt hätten, sei auch in der kleinen Kammer die Mehrheitsfindung vielfältiger geworden. «Es reicht nicht mehr, wenn sich CVP und FDP einig sind.» CVP, SP, Grüne und GLP hätten zusammen jetzt auch eine Mehrheit. Vor diesem Hintergrund sei die Parteipolitik im Ständerat wichtiger geworden, analysiert Schwarz. Zwar gebe es immer noch Unterschiede zum Nationalrat, «aber man gleicht sich im Stil tendenziell an».

Mehr und längere Runden

Dies dürfte mitverantwortlich sein für einen weiteren Befund: Es geht unterdessen länger, bis ein Geschäft entschieden ist. Schwarz: «Es gibt mehr Runden zwischen den Räten und mehr Differenzen.» Bis als letzte Chance dann die Einigungskonferenz zum Zug kommt. Walter Müller diagnostiziert bei Themen wie Krankenversicherung, Sozialversicherungen oder Altersvorsorge eine abnehmende Bereitschaft zu konstruktiven Lösungen. Schuld seien ideologische Zuspitzungen.

Selbstbewusstes Parlament

Politologe Schwarz kann der Tatsache, dass das Parlament vermehrt Sand ins Gesetzesgetriebe streut, durchaus auch positive Aspekte abgewinnen. «Das ist auch ein Ausdruck von mehr Selbstbewusstsein.» Es werde stärker hinterfragt, die Legislative verändere bundesrätliche Vorlagen und bringe sich in Stellung. Für Schwarz ist deshalb auch nicht eine allmächtige Verwaltung oder Regierung die grösste Herausforderung für das Parlament, sondern: der Zeitdruck. Wie andere gesellschaftliche Bereiche habe sich auch die Politik enorm beschleunigt: «Und wenn es schnell gehen muss, dann hat das Parlament eine schwache Stellung.» An einer gewissen Professionalisierung führe deshalb kein Weg vorbei. «Auch wenn man es gerne anders hätte.»

Daniel Schwarz Politologe Forschungsnetzwerk Politools (Bild: pd)

Daniel Schwarz Politologe Forschungsnetzwerk Politools (Bild: pd)