Schlampereien schaden Nano

Der Empa-Toxikologe Harald Krug hat Tausende Studien zu Risiken der Nanotechnologie untersucht und festgestellt, dass seine Wissenschaftskollegen oft schlampig gearbeitet haben – sehr zum Nachteil für die Nanotechnologie.

Bruno Knellwolf
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Auch in Sonnencrèmes sind Nanopartikel drin, in Form von Titandioxid. Die Crème hält so länger. (Bild: fotolia)

Auch in Sonnencrèmes sind Nanopartikel drin, in Form von Titandioxid. Die Crème hält so länger. (Bild: fotolia)

Der Toxikologe Harald Krug von der Empa St. Gallen hat über eineinhalb Jahre mehrere Tausend Studien zum Thema Gefährlichkeit von Nanopartikeln ausgewertet. Im Fachjournal «Angewandte Chemie» geht er nun hart mit seinen Wissenschaftskollegen zu Gericht. Die Studienresultate basierten oft auf schlampig vorbereiteten Versuchen, und die Ergebnisse seien vielfach ohne Aussagekraft.

Herr Krug, Ihre Bilanz der Studien zu den Risiken der Nanomaterialien fällt erschreckend aus.

Harald Krug: Enttäuschend, sage ich als Forscher, der seit mehr als 20 Jahren in der Nano-Toxikologie arbeitet. Viele Schlussfolgerungen in den Arbeiten sind definitiv falsch und irreführend. Forscher sagen, dieses oder jenes Material sei hochgiftig und sollte nicht eingesetzt werden. Obwohl sie vorher gegen alle Qualitätsregeln der Toxikologie verstossen haben. Für Aussenstehende ist nicht nachvollziehbar, dass deren Resultate unzutreffend sind.

Welche Fehler haben Sie festgestellt?

Krug: Erstens die oft fehlende Charakterisierung des Nanomaterials. Die Forscher wussten gar nicht, mit was sie es zu tun hatten. Ausserdem werden Nanomaterialien oft unter nicht sterilen Bedingungen hergestellt. Das heisst, sie werden verschmutzt mit allem, was in der Luft herumfliegt – oft sind das bakterielle Bestandteile. Untersucht man solches Nanomaterial, zeigen sich Entzündungsreaktionen, die aber gar nicht mit den Nanopartikeln zu tun haben, sondern mit den Bakterienresten. Solche Tests im Zellkultur- wie auch im Tierversuch sind nichts wert.

Und zweitens?

Krug: Leider werden für die Publikation der Studienresultate oft keine Toxikologen hinzugezogen. Der wissenschaftliche Selbstkontrollmechanismus hat nicht funktioniert.

Was hat Sie am meisten geärgert?

Krug: Am schlimmsten ist, dass die Konzentrationen der Nanomaterialien in den Versuchen oft viel zu hoch waren. Wenn Sie im Verhältnis die gleichen Mengen an Kochsalz essen würden, wie sie häufig in den Tests mit Nanomaterialien eingesetzt wurden, wären sie tot. Weil viele meiner Kollegen zwingend einen Effekt zeigen wollen, gehen sie deshalb mit den Konzentrationen der Nanopartikel immer höher – so lange, bis sie etwas finden. So werden Konzentrationen erreicht, die nichtspezifische Effekte auslösen.

Zum Beispiel?

Krug: Wenn Sie in der Natur einatmen, ist das gesund. Wenn der Bauer nebenan das Feld bestellt, atmen sie eine Menge Staub ein. Ein Arzt würde in der Lunge an vielen Stellen kleine Entzündungsherde feststellen. Entzündungsprozesse sind ein natürlicher Teil der Abwehr unserer Lunge. Die Lunge reinigt sich so. Wenn die Dosen aber hoch genug sind, selbst bei ungefährlichen Stoffen, werden starke Entzündungsprozesse ausgelöst. Paracelsus hat schon vor 500 Jahren festgestellt, dass alles giftig ist, es hängt nur von der Konzentration ab. Bei Einsatz von realistischen Dosierungen zeigt sich jedoch, dass die allermeisten Nanomaterialien ungefährlich sind.

Das bedeutet, dass die Nanotechnologie zu schlecht gemacht wird?

Krug: Ja, auf der Seite der Gesundheits- und Risikobewertung werden die Nanomaterialien zu schlecht dargestellt.

Steckt da Absicht dahinter?

Krug: Nein, eher toxikologische Naivität. Und teilweise auch Geld: Wenn ich über einen Effekt berichte, bekomme ich eventuell einen Nachfolge-Forschungsauftrag. Wenn ich keinen Effekt gefunden habe, eher nicht – was ich bedaure.

In welcher Branche wird denn zur Zeit am meisten über die Risiken der Nanomaterialien diskutiert?

Krug: Die Kosmetik. Weil die EU dort das Labeling für Nanomaterialien bereits eingeführt hat. Auf den Sonnenschutzcrème-Verpackungen steht zwar schon seit mehr als 20 Jahren, dass Titandioxid drin ist. Jetzt muss man Nano dahinter schreiben. Das ist insofern schlecht, weil das nach einem Risiko-Labeling aussieht. Das Titandioxid darin ist aber sehr sicher. Es ist ein physikalischer UV-Blocker, der nicht vom UV-Licht zersetzt wird. Die Crème hält so länger und schützt besser. Ohne Nano muss organische Chemie in die Schutzcrème hinein, aromatische Chemikalien, welche vom Sonnenlicht zersetzt werden – die Sonnenschutzcrème hält weniger lang. Zudem kommen dadurch nachweislich mehr Chemikalien in die Gewässer.

Und andere Branchen?

Krug: Die Elektronikbranche leidet nicht darunter. In den Smartphones hat es auch Nanomaterialien drin, die sind aber fest verbaut. Immer kritisch ist der Nahrungsmittelbereich, zum Beispiel wenn es um Verpackungsmaterialien geht. Silberpartikel sind aber für diese Verwendung bei uns nicht zugelassen. Ich kenne kein Nanomaterial, das explizit für Lebensmittel zugelassen ist.

Und Textilien?

Krug: Da gibt es Diskussionen, weil Textilien auf der Haut liegen. Auch an der Empa werden Textilien mit Nanomaterialien entwickelt, zum Beispiel ein Sonnenschutz-T-Shirt für Kinder. Normale weisse Leibchen haben einen Sonnenschutzfaktor von 3 oder 4. Das schützt nicht vor UV am Meeresstrand. Arbeitet man Titandioxid ins Leibchen, kann das Gewebe einen Sonnenschutzfaktor von 20 bis 30 erreichen. Trotzdem gibt es Vorbehalte in der Bevölkerung, obwohl Studien klar zeigen, dass die Partikel nicht durch die Haut in den Körper gelangen.

Gibt es zu wenige qualitativ gute Studien über die Risiken von Nanomaterialien?

Krug: Nein, eigentlich nicht. Wenn von den 6600 von uns untersuchten Publikationen nur 5 bis 10 Prozent gut sind, dann wären das immerhin 300 bis 600 Arbeiten. Da stecken viele gute Informationen drin. Es gibt aber schon noch Wissenslücken, weil zum Beispiel Langzeitstudien über die Anreicherung im Körper fehlen. Da muss noch geforscht werden.

Harald Krug Professor für Toxikologe an der Empa St. Gallen (Bild: pd)

Harald Krug Professor für Toxikologe an der Empa St. Gallen (Bild: pd)