Über Verflixtes und Vervextes

Der Vexer Verlag des Künstlers Josef Felix Müller hat ein Bändchen herausgegeben mit dem Titel «Wolfram Lotz, Erscheinungen». Ein kleines, feines Text/Bild-Werk mit grossem Unterhaltungswert.

Brigitte Schmid-Gugler
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Die Titelseite des Vexer-Bändchens von Lotz und Müller. (Bild: pd)

Die Titelseite des Vexer-Bändchens von Lotz und Müller. (Bild: pd)

Wir erinnern uns gerne an Wolfram Lotz' spassige Groteske «Mama», die, ebenfalls bebildert von Josef Felix Müller, im vergangenen Mai bei Vexer herauskam. (Tagblatt vom 10. Mai). Nun kam es erneut zu einer Zusammenarbeit zwischen Müller und dem 1981 geborenen Lyriker, Dramatiker, Erzähler und Hörspielautor aus Hamburg. Diesmal wenden sich die beiden Künstler dem Phänomen von Erscheinungen zu. Unter dem Titel «Einige Engelserscheinungen in Amerika» widmet der Autor die jeweils kurzen Texte dem ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universität von Tulsa in Oklahoma, Arthur Kaczynski.

Metaphysische Erfahrungen

Dieser hatte in einer langfristig angelegten Forschungsarbeit zahlreiche Schilderungen von Menschen, die von unerklärlichen Lichterscheinungen erzählten, aufgezeichnet. Da derartige visionäre Ereignisse wissenschaftlich nicht erklärbar sind, schlug auch Arthur Kaczynski seitens seiner Kollegen nicht nur Wohlwollen, sondern auch Ablehnung und Misstrauen entgegen. Doch es ist nicht die Absicht des Autors, Phänomen und Einbildung gegeneinander auszuspielen. Vielmehr gelingt ihm durch die nüchterne Wiedergabe jener Schilderungen dieses augenzwinkernd Zwischenräumliche, das ganz direkt unsere Vorstellungskraft zu beflügeln vermag. Die kurzen Texte tragen dazu bei, dass man das schmale Büchlein in einem Zug verschlingt. Gänsehaut und Schweissausbrüche wechseln sich ab, und zwar nicht, weil sich Wolken vor die Sonne schieben, sondern weil auf Seite 22 gerade ein Mann einen Anhalter mitnimmt: «Sie sprechen die zehn Minuten, die sie gemeinsam im Auto sitzen, kein Wort. Dann verschwindet die Person aus dem fahrenden Auto, indem sie sich einfach in Licht auflöst.» Nach dem Verschwinden einer anderen, von mehreren Personen bezeugten Erscheinung stellt der herbeigerufene Physiker Versengungen an Tapete und Vorhängen fest. Josef Felix Müller bebildert diese erste Textreihe mit der Bildfolge «Hildegards Erscheinungen» – ein als Streifen sichtbares Strickmuster eines Pullis, das sich wie ein «Daumenkino» verschiebt bis ins überraschte Staunen im Gesicht einer eher heutigen «Hildegard».

Das scheue Tier

Noch fast lustiger geht's mit der Geschichte um das vermeintliche Okánugu weiter. Um dieses Tier, ab 1533 mehrmals in den Urwäldern erblickt, aber nie wirklich gesehen, ranken sich die Legenden. Viele Abenteurer und Ureinwohner wollen seit dem 16. bis hinein ins 21. Jahrhundert das seltene Okánugu entdeckt haben, doch niemandem ist es jemals gelungen, eine Zeichnung anzufertigen, geschweige denn, als dies technisch möglich wurde, das Tier zu fotografieren. Josef Felix Müllers zweite Bildfolge zeigt einen Busch, in dessen Geäst sich die «Erscheinung» wie in einem Vexierbild tarnt…

«Wolfram Lotz, Erscheinungen», Vexer Verlag 2014; www.vexer.ch