Um nicht Gefahr zu laufen, auch selber noch in die vielstimmige Hymne der Gratulierenden einzustimmen, geht man auf ein paar Schritte vors Haus, um dort festzustellen, dass ihm nicht zu entkommen ist. Er ist allgegenwärtig.
Um nicht Gefahr zu laufen, auch selber noch in die vielstimmige Hymne der Gratulierenden einzustimmen, geht man auf ein paar Schritte vors Haus, um dort festzustellen, dass ihm nicht zu entkommen ist. Er ist allgegenwärtig. Im Umkreis einer halben Drehung um die eigene Achse gibt es, am Oberen Graben stehend, drei wichtige Arbeiten des gebürtigen Appenzellers Roman Signer. Im Parterre des Rathauses, gleich neben der Treppe, steht zur Feier seines 75.Geburtstags seine Arbeit «Kajak II» aus dem Jahr 1988; es plätschert im Grabenpärkli aus einem roten Fass, und es tropft unablässig aus einem weiteren Kajak durchs ganze Treppenhaus in ein flaches Steinbecken im Parterre des Union-Gebäudes. Sein Vorschlag für ein Kunst-am-Bau-Projekt war während der Sanierung des Union als Sieger hervorgegangen.
Das ehemalige Gasthaus Löwen war 1882 von den Fabrikanten Vonwiller zum Geschäftshaus umgebaut worden. Das ins Ausland expandierende, bis heute weltweit älteste Textilunternehmen – es feierte vor vier Jahren sein 250-Jahr-Jubiläum – wollte mit dem Begriff Union «In Union with fashion» ein Zeichen setzen für seine erfolgreiche internationale Ausrichtung.
Bis heute ist das in den 50er-Jahren neu erbaute Union ein Geschäftshaus geblieben. Nachdem Mitte der 1990er-Jahre die Helvetia Patria als Eigentümerin das Gebäude saniert hatte, zogen zahlreiche kleinere und grössere Firmen als Mieter ein. Auf fünf Stockwerken findet man fast alles, was sowohl dem einzelnen Menschen als auch der Gemeinschaft für ein friedliches Bei-sich-und bei-einander-Sein förderlich ist. Es gibt ein Fusspflegestudio und eines für die Hände mit dem Namen «Happy Hands»; es gibt eine Steuer- und eine Lebensberatung; es gibt eine Dame, die Trauerzirkulare und Danksagungen verfasst, und auch die Coachingfirma «rheinspringen» steht hier auf dem Sprungbrett.
Dann gibt es noch das Kajak. Zu sehen bekommt die ganze Installation nur, wer sich die Mühe macht, das Treppenhaus zu erklimmen. Vorbei an vielen Türen und Menschen, die ein- und ausgehen.
«Nüt zum Aahimmle», sagt die nachdenklich zur Decke schauende Frau, die eben aus der Fusspflege kommt und gefragt wird, ob sie wisse, was das zu bedeuten habe, dass es da durch die Decke tropft und tropft. Signer hätte seine Freude an dem Kommentar, segelte sein knallbuntes Kajak doch eigentlich vom Himmel her – durchs Dach quasi. Als hätte es eine tobende Flutwelle hereinkatapultiert.
Nun steckt es, «aufgespiesst» zwischen der Betondecke, zwischen den Etagen und tropft. Wie ein wehmütiger Signer-Rheintropf, die grosse Reise vom Fluss ins Meer, die Metapher des Reisens, welche gleichzeitig die Geschichte dieses Ortes ist, aber auch die vom Sinn einer Versicherung mit dem augenzwinkernden Hinweis auf eine nie ganz auszuschliessende Havarie…
Helvetia Patria oder the union sign of Signer. Happy birthday!
Brigitte Schmid-Gugler