Eine dunkle Zeit fürs Theater

«Die Brokatstadt» gilt als erster moderner Stadtroman St. Gallens. Der künstlerische Leiter der Kellerbühne Matthias Peter hat das Werk über Theater, Kritik und bürgerliche Doppelmoral entstaubt und als «Kulissenklatsch» auf die Bühne gebracht.

Chris Gilb
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Alexandre Pellichet, Simone Stahlecker und Matthias Peter üben sich im «Kulissenklatsch»; Urs Gühr begleitet sie am Klavier. (Bild: pd)

Alexandre Pellichet, Simone Stahlecker und Matthias Peter üben sich im «Kulissenklatsch»; Urs Gühr begleitet sie am Klavier. (Bild: pd)

ST. GALLEN. Drei Anläufe hat der künstlerische Leiter der Kellerbühne, Matthias Peter, gebraucht, um sich mit Viktor Hardungs Roman «Die Brokatstadt» aus dem Jahre 1909 anzufreunden und den Inhalt für ein Bühnenstück zu adaptieren. «Obwohl der Roman auf den ersten Blick sehr schwülstig geschrieben ist, sind die Dialoge doch gestochen scharf und handeln von spannenden Konflikten mit Parallelen zur Gegenwart», sagt Matthias Peter.

Das Stück nennt er nun «Kulissenklatsch». Schwerpunkt ist ein Konflikt: hier die Theaterkritik, da die Leitung des Theaters. Auch Peter schrieb, bevor er die Leitung der Kellerbühne übernahm, Theaterkritiken und kennt die typischen Konflikte zwischen den oftmals gegensätzlichen Interessen: «Der Theaterdirektor wünscht sich Applaus, der Kritiker will kritisieren», sagt Peter. Auch Viktor Hardung war hauptberuflich Theaterkritiker und gehörte lange Zeit der Feuilleton-Redaktion des St. Galler Tagblatts an; so weist der Roman auch viele autobiographische Züge auf.

Schlecht bezahlte Schauspieler

Der Roman ist auch ein Buch über die bürgerliche Doppelmoral in der damals noch florierenden Textil-Weltstadt St. Gallen. «Die Löhne für die Schauspieler waren schlecht, oftmals blieb den Schauspielerinnen deshalb nichts anderes übrig, als sich den betuchten Herren unter den Gästen als Liebhaberinnen anzudienen», sagt Matthias Peter.

Drei Schauspieler spielen im «Kulissenenklatsch» die Hauptrollen und teilen auch die Nebenrollen unter sich auf. Die Rolle des Theaterkritikers Ulrich Wegell übernimmt Mathias Peter selbst, der Theaterleiter Karl Möllenhof wird von Alexandre Pelichet gespielt, und die Rolle der Schauspielerin Lora von Born übernimmt Simone Stahlecker, die derzeit auch im Stück «Andorra» am Theater St. Gallen zu sehen ist.

«35 Direktoren in 51 Jahren»

Das Stück beginnt damit, dass die drei Protagonisten sich über die Zeit Viktor Hardungs unterhalten. Sie erzählen, dass in der damaligen Textilstadt St. Gallen das Stadt- und Aktientheater am Bohl eine bedeutende Rolle als Bildungsstätte spielte. Doch die Direktoren hätten ununterbrochen gewechselt und das Theater mehr als Unternehmen denn als Kulturort betrieben. Matthias Peter sagt: «In 51 Jahren hatte das Theater 35 Direktoren und jeder fing noch einmal bei Null an. Auch der Spielplan war überfüllt, so dass die Souffleusen oftmals tragende Rollen bei der Realisierung eines Stückes übernahmen.»

Die Stimme der Kritik an den Zuständen im Theater ist der Theaterkritiker Ulrich Wegell. Er gerät gleich zu Beginn des Stücks mit dem neuen Theaterdirektor aneinander, findet ihn Zigarren rauchend in seinem Büro an. Wegell wirft ihm sogleich vor, dass er wie seine Vorgänger mit völlig unzulänglichen Mitteln Theater spielen wolle und gleichzeitig verspreche, alles anders machen zu wollen. Und wegen dieser Heuchelei von ihm keine allzu gute Kritik erwarten könne. Das passt dem Direktor gar nicht, er wirft Wegell vor, ihn ruinieren zu wollen.

Neuer Theaterleiter des Stadttheaters wird zufällig Wegells norddeutscher Jugendfreund Karl Möllenhof, der sich für ähnliche Interessen wie Wegell stark macht. «Vorbild für die Figur Möllenhof war Paul von Bongardt, der von 1907 bis Kriegsbeginn das Theater leitete und im Sinne Hardungs nach Jahren der Stagnation Qualität und frischen Wind ins Theater brachte», sagt Peter.

Auf Konflikt konzentriert

Auch eine Liebesgeschichte zwischen dem Kritiker und einer Schauspielerin und der Selbstmord eines Schauspielers haben Platz im Stück «Kulissenklatsch». «Ich kann im beschränkten Rahmen der Kellerbühne nicht auf jeden Schauplatz des Romans eingehen, deshalb habe ich mich auf den Konflikt zwischen Kritiker, Direktor und Schauspieler und die Liebesgeschichte konzentriert», sagt Peter. Um andere wichtige Aspekte des Buchs nicht auslassen zu müssen, werden sie von den Darstellern im Bühnenstück zwischendurch zusammengefasst.

Da es sich beim «Kulissenklatsch» um ein Melodram handelt, darf auch die Musik nicht fehlen, dafür sorgt Urs Gühr, der die Musik eigens fürs Stück komponiert hat. Etwa das Freiheitslied, das ein Arbeiterzug gegen Ende des Stücks auf der Strasse singt.

Matthias Peter hält mit seiner Adaption des Romans «Die Brokatstadt» dem St. Galler Theaterbetrieb einen Spiegel aus seiner eigenen Geschichte vor und entführt in eine Zeit, in der St. Gallen noch luxuriöse Gewebe, Brokate genannt, in alle Welt exportierte.

Di, 24.9., 20 Uhr; Do, 26.9., 20 Uhr; Sa, 26.9., 20 Uhr; So, 27.9., 17 Uhr