Das Stück «Wings In My Heart» lässt die Zuschauer abheben und staunen. Das Toggenburger Rigolo-Theater zeigt poetische Szenen zwischen Tanz und Artistik sowie einen weltberühmten Balanceakt.
ST. GALLEN. Alle im Theater halten den Atem an. Die Musik ist verstummt, nur noch Marula Eugsters Atmen ist zu hören. Die jüngste Tochter der beiden Rigolo-Gründer bewegt sich wie in Zeitlupe, fügt nach und nach eine Feder und 13 Palmblatt-Rispen zu einem grossen, aber fragilen Mobile zusammen. Ein eindrücklicher Balanceakt.
1996 hat Mädir Eugster diese «Sanddorn-Performance» zum ersten Mal gezeigt und damit das Toggenburger Rigolo-Theater weltweit bekannt gemacht. Jetzt bildet die 15minütige Balance den Schluss und Höhepunkt der neuesten Rigolo-Produktion «Wings In My Heart», die am Mittwoch im Theater Siebeneck in St. Gallen Premiere feierte. Bewusst steht dabei die jüngste Tochter der Theater-Gründer im Mittelpunkt. Lena Roth und Mädir Eugster wollen nach bald 40 Jahren Bühnenarbeit kürzertreten. «Wings In My Heart» ist also auch eine Stabsübergabe.
«Wings In My Heart» ist aber noch viel mehr. In 14 Szenen zeigt ein internationales siebenköpfiges Ensemble ein poetisches Spektakel. Schon in den ersten Minuten leuchtet der Beamer, brennt Feuer, spritzt Wasser. Und schon die dritte Szene mit dem russischen Akrobaten Suren Bozyan und der neuseeländischen Tänzerin Jenny Ritchie ist eine typische Rigolo-Nummer zwischen Tanz, Artistik, Musik und Bildender Kunst: Die Artisten drehen sich auf zwei rotierenden, klingenden Harfen und vollführen einen harmonischen, schwindelerregenden Tanz, der jeden Moment zu kippen droht.
Kurz darauf ein Knall. Steptanz-Weltmeister Daniel Borak trommelt und schabt mit den Füssen über den Bühnenboden und liefert sich ein fröhliches Duell mit Julius Oppermann am Schlagzeug. Diesem energetischen Steptanz folgt eine magische Nummer. Breakdancer Kemal Dempster schlängelt seinen Körper im Dunkeln zwischen leuchtenden Bällen hindurch, die hin und her schwingen – ein Höhepunkt des Abends. Nach ihm tanzt die Ukrainerin Karyna Konchakivska am Seil, halsbrecherisch und grazil zugleich.
Bei all diesen Nummern scheint die Schwerkraft auszusetzen und die Welt neuen Regeln zu gehorchen. Gegensätze werden in Szene gesetzt: Mann und Frau, Anziehung und Abstossung, Konflikt und Harmonie. Dem Rigolo-Theater gelingen dabei starke Bilder, immer wieder staunt man mit offenem Mund. Da rieselt plötzlich Sand von der Decke, schwebt eine Feder durch den Raum, spannt sich ein riesiges Flügelpaar über die gesamte Bühnenbreite.
Die Feder zieht sich als Leitmotiv durch den Abend (am Schluss erhält sogar jeder Besucher ein paar Federchen mit auf den Heimweg). Sie «malt» zwischendurch auch bedeutungsschwangere Sätze an den weissen Bühnenvorhang. Dieses Lesen von projizierten Texten holt den Zuschauer leider ständig wieder zurück auf den (rationalen) Boden, wo er doch lieber weiterfliegen und staunen würde. Eher irritierend ist auch der esoterische Überbau des Stücks sowie die Musik, die über weite Strecken an die Klänge einer Meditations-CD erinnert.
Mit der «Sanddorn-Performance» findet «Wings In My Heart» aber zu einem stimmigen, berührenden Schluss. Und um die Zukunft von Rigolo braucht man sich offensichtlich keine Sorgen zu machen.
Vorstellungen bis 23.11., jeweils 20 Uhr, Theater Siebeneck (Steiner-Schule), St. Gallen; Tickets bei Ticketcorner oder SBB Railaway; www.rigolo.ch