Propstei St. Peterzell Mit «Denkräume» wird eine umfassende Werkschau über die Zeit von 27 Jahren Vexer-Verlagsarbeit des Künstlers und Verlegers Josef Felix Müller gezeigt. Brigitte Schmid-Gugler
Während andere ein neues Haus, ein noch neueres Auto oder ein Dutzend neue Kochbücher kauften, der Kalte Krieg vorbei war und es auch bei anderen Kriegen nur Verlierer gab, während Flugzeuge in Türme flogen, das Smartphone die Welt eroberte, Verlage fusionierten und andere eingingen, während all dieser Zeit gab, und bis heute gibt es den Vexer-Verlag. 27 Jahre sind seit der ersten Publikation vergangen. Seither schaffte es der heute 57jährige Josef Felix Müller, jedes Jahr bis zu fünf neue Künstlereditionen herauszugeben. Wie macht er das? Und: Warum gelingt ihm, woran andere in zeitlich viel kürzeren Zeitspannen scheitern?
Der Aufgang in die frühere Rumpelkammer der Propstei St. Peterzell liefert schon die erste Antwort: An Schnüren hängt die Installation von Roman Signer über den Köpfen, es handelt sich um Restexemplare des ersten «richtigen» Buches, das Müller 1986 konzipiert und gestaltet und das erstmals die verschiedenen skulpturalen Aspekte im Werk des siebzehn Jahre älteren Künstlerkollegen Roman Signer dokumentiert hatte. 26 Jahre später haben die langjährigen Weggefährten das Heu immer noch auf der gleichen Bühne und – sie gönnen sich die gegenseitigen Erfolge. In einer gemeinsamen Aktion, angelehnt nicht nur an den Start des Vexer-Verlages, sondern auch an den Ausstellungsort am Necker, haben die beiden 112 Bücher gewässert, luftgetrocknet und als symbolträchtige Installation im Zeichen fliessender Kontinuität in die Propstei gehängt.
Mit Roman Signers «Vexer-Necker-Skulptur» blickt Müller zum Beginn seiner Verlegertätigkeit zurück. Er hatte mit seiner Familie dank eines Stipendiums ein Jahr in Frankreich verbracht und dabei realisiert, wie wichtig ihm die dort weitgehend abwesende Kommunikation, der Austausch mit anderen Kunstschaffenden ist. 1985, nach seiner Rückkehr nach St. Gallen, wo er seit 37 Jahren lebt und arbeitet, gründete er den Vexer Verlag. Einen Anerkennungspreis wert war der Stadt bis heute weder sein breites künstlerisches Œuvre noch die aussergewöhnliche Verlegertätigkeit.
Auch die zweite an der Vernissage präsentierte Neupublikation hat mit Wasser zu tun: Das Werk «Wunschbrunnen, vom Glauben an das Wasser und an das Wünschen», ist eine Recherche der Literatur- und Geschichtsstudentin Tamara Weibel. Es verweist auf die vielfältigen Zugänge eines beharrlich Wünschenden in der Sparte Kunst. Er habe sich stets für die Denksysteme, das Vokabular anderer Kunstschaffender interessiert, sagte die Kunsthistorikerin Corinne Schatz an der Vernissage. Müller selber sagt, dass ihm die «Welt der Bilder» immer zu eng gewesen sei. Seine Idee von Kunst und Kultur schliesse im Sinne von Joseph Beuys geprägtem Begriff von der sozialen Skulptur die Offenheit, den Respekt vor den Leistungen der anderen Menschen mit ein. Es sei immer sein Bestreben gewesen, an seiner eigenen sozialen Skulptur zu arbeiten.
Rastlos, neugierig und unerschrocken setzt Müller seinen Wunsch nach Vermittlung um und geht immer wieder das Abenteuer ein, auch mit jungen, noch unbekannten Kunstschaffenden zu arbeiten. Er scheut dabei weder den persönlichen Einsatz noch das Risiko. Das Zusammentragen der Publikationen, darunter eine Vielzahl von Tonträgern, Filmen, Multiples, sei für ihn ein emotionaler Akt vergleichbar mit einer «künstlerischen Weitwanderung» gewesen, sagt Josef Felix Müller. Neben wechselnden und einmalig aufgeführten Namen, unter ihnen zahlreiche aus dem ganzen deutschsprachigen Raum, gibt es welche, die wie Roman Signer, Peter Liechti, Norbert Möslang, H. R. Fricker, mehrmals bei Vexer publiziert haben.
Müller arbeitet mit der kleinstmöglichen Infrastruktur. Auswahlkriterien seien – nebst dem Interesse an der jeweiligen künstlerischen Position – die Sympathie für die Person. Gestalterisch entwickeln sich die Werke auf der Basis der jeweiligen Arbeit, ein Prozess, der Müller weitgehend den Kunstschaffenden überlässt. Diese beteiligen sich an der Suche nach den notwendigen finanziellen Mitteln, sie setzen – möglichst an ihrem Wohn- und Schaffensort – ihre eigenen sozialen Netze ein. «Felix der Verleger», wie der Haupttitel der Ausstellung heisst, profitiert seinerseits von seinem Künstler- und Verleger-Image und kann auf die Unterstützung der öffentlichen Hand und von Stiftungen zählen. Bei einer durchschnittlichen Auflage von 300 Stück sei das Risiko tragbar; die Publikationen vertreibt er übers Internet, teilweise auch über den weniger kostengünstigen Weg eines Postversandes.
Die Vielfalt von Vexer präsentiert sich nun in dem hohen Dachgewölbe der Propstei auf eindrückliche Weise. In der vom jungen Kurator Ramon Lenherr eingerichteten und nach Publikationsjahren geordneten Ausstellung gibt es viele Wieder- und zahlreiche Neubegegnungen mit Namen, Videos, Installationen, Objekten und natürlich mit vielen neckischen Vexer-Künstlerbüchern.
Bis 16. September, Mi bis Sa 14–17 Uhr; So 10–17 Uhr Sa, 1.9., 11–12.30 Uhr: Wie entsteht ein Buch? Von der Idee bis hin zur gedruckten Publikation, Diskussion mit Künstlern und Fachleuten der Branche. 16.9. 16 Uhr: Schlagzeug mit Lesung, Dada Poesie mit Peter Schweiger