Die öffentliche Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ist ein «Kulturgut von nationaler Bedeutung». Trotzdem droht ihr die Zerschlagung. Engagierte versuchen, sie zu retten, und veranstalten dafür den «Tag des Jüdischen Buches».
Wer die Geschichte der Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) kennt, versteht ihre Bedeutung sofort: Sie wurde 1939 gegründet, zu einer Zeit also, als die Nationalsozialisten im übrigen Europa jüdische Bibliotheken von Privaten, Gemeinden und Hochschulen auflösten und die Bücher vernichteten.
1939 übernahm die ICZ eine Bibliothek, deren Wurzeln bis 1902 reichten. Dazu kamen bald Bücher geflohener Juden und Ende der 40er-Jahre 4000 Werke des Jüdisch-Theologischen Seminars in Breslau, von denen einige aus dem 16. Jahrhundert stammen.
Mittlerweile 50 000 Medien gehören der für jeden öffentlich zugänglichen ICZ-Bibliothek, in deutscher, hebräischer, jiddischer und englischer Sprache. Der Grossteil, rund 40 000 Werke, sind wissenschaftlicher Natur, also Werke zu Judaistik und Rabbinistik, Kommentare zu Talmud und Bibel, aber auch Werke zum Konflikt in Nahost, Philosophie, Kunst- und Musikgeschichte. Rund 10 000 Werke sind belletristischer Art, von jüdischen Autoren oder zu jüdischen Themen, darunter Kinder- und Jugendbücher und auch DVDs und CDs.
«Gerade diese Vielfalt macht die Bibliothek aus», sagt Bibliothekarin Kerstin Paul. Die Medienfülle und -breite beeindruckte auch im Bundesamt für Bevölkerungsschutz, das die Bibliothek in die Liste eines «Kulturguts von nationaler Bedeutung» aufnahm, weil sie im deutschsprachigen Raum wohl einzigartig ist.
Ungeachtet dessen wurden Pläne publik, diese Vielfalt zu zerstören, denn die ICZ muss sparen. Der wissenschaftliche Teil, so die Idee, sollte der Zentralbibliothek Zürich (ZB) einverleibt werden. Präsent wären die Werke dann wohl nicht mehr, sondern müssten bei Verlangen aus dem Lager geholt werden. Der belletristische Teil bliebe bei der ICZ, ein schwacher Trost für Bibliothekarin Paul: «Die Identität der Bibliothek wäre zerstört.»
Das findet auch der Verein für jüdische Kultur und Wissenschaft, der gegründet wurde, um die Eigenständigkeit der Bibliothek zu erhalten «als Kernstück für die Einrichtung eines überregional wirksamen Zentrums für jüdische Geistesgeschichte» in Zürich. Vereinsvorsitzender ist der Schriftsteller Charles Lewinsky, der mit einem Jahresbudget von Fr. 100 000 rechnet und dafür Sponsoren sucht. Dafür hat er den «Tag des Jüdischen Buches» organisiert, der mit Vorträgen, Lesungen und einem Autorengespräch den 75. Geburtstag der Bibliothek feiern und auf ihre Probleme aufmerksam machen soll.
Wenn der Verein Erfolg hat und das Geld auftreiben kann, «dürften sich die ursprünglichen Pläne langsam in Luft auflösen», sagte gestern ICZ-Generalsekretär Frédéric Weil.