Die Kuh zum Fliegen bringen

Roland Koch spielt am Wiener Burgtheater, ermittelt im Bodensee-Tatort und führt in St. Gallen Regie. Zur Schauspielerei ist er auf Umwegen gelangt. Das prägt. «Es dauert lange, bis ich drin bin in einer Rolle», sagt er.

Rolf App
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Sieht rasch, wo es bei der Erarbeitung eines Theaterstücks «klemmt»: Roland Koch, der gerade in St. Gallen Moritz Rinke inszeniert. (Bild: Michel Canonica)

Sieht rasch, wo es bei der Erarbeitung eines Theaterstücks «klemmt»: Roland Koch, der gerade in St. Gallen Moritz Rinke inszeniert. (Bild: Michel Canonica)

Manchmal schlägt das Schicksal seltsame Volten – und fasst dabei insgeheim doch ein grosses Ziel ins Auge. Im Fall des 55jährigen Schauspielers Roland Koch drängt sich dieser Eindruck auf. Ein scheinbar wirres Leben befördert ihn von Muri im Kanton Aargau nach Zürich, dann nach Paris und wieder zurück in die Schweiz, bevor er endgültig das Weite sucht – in Deutschland spielt, sich in Wien niederlässt, und wieder den Weg zurück findet in die Schweiz.

Die Ostschweizer Hintertüre

Seit 2011 ermittelt Koch im Bodensee-Tatort aus Konstanz als Matteo Lüthi von der Thurgauer Kantonspolizei, und jetzt gerade führt er Regie am Theater St. Gallen im Stück «Wir lieben und wissen nichts» von Moritz Rinke (siehe Kasten). «Ich habe mich der Schweiz über die Ostschweizer Hintertüre angenähert», stellt er fest, und ist selber überrascht. Und erfreut: «Ich bin jetzt dreissig Jahre im Ausland und habe eine bestimmte Art von Paranoia abgelegt.»

Diese Paranoia hat sich aus einer grossen Ratlosigkeit heraus entwickelt. «Ich kann nicht sagen, ich hätte schon mit zwölf ans Theater gedacht», beschreibt Roland Koch seine holprigen Anfänge. «Es hat vielmehr eine Art Negativ-Auslese stattgefunden.» An ihrem Anfang steht das Lehrerseminar, ein halbes Jahr Berufspraxis – und das Gefühl, dass ihm das Lehrerzimmer zu klein wird. «So ging ich an die Uni Zürich, studierte sehr breit Philosophie, Ethnologie, Psychologie. Da brachen 1980 die Zürcher Unruhen aus.» Und der politisch weit links stehende junge Mann will nicht mehr weiterstudieren in diesem «Schweinebetrieb».

Mit der Olivetti nach Paris

So kauft Roland Koch sich eine Olivetti und zieht nach Paris. «Irgendwie sah ich mich als Schriftsteller, zustande brachte ich aber nur gerade einen Satz: <Es regnete nicht, es goss.>» Seine Schriftsteller-Existenz ist mehr Pose, sie hat etwas Theatralisches. «Ich war kein Schriftsteller, ich spielte ihn nur sehr gut.» Ihn hat das zunächst enttäuscht. Dann aber vermittelte ihm sein Scheitern das Gefühl, «dass sich da eine Türe öffnet zu etwas Neuem».

An der Zürcher Schauspielakademie besteht er die Aufnahmeprüfung, obwohl er noch nie ein Theater von innen gesehen hat. Die Bedenken sind gross, der Direktor Felix Rellstab meint: «Du bist ein verrückter Kerl, aber wir nehmen dich. Wahrscheinlich ist es ein Fehler.»

«Ich brauche viele Umwege»

Der Schauspielschüler fühlt sich befreit, aber er muss sich alles selber erarbeiten. Er trägt keine Vorstellung mit sich herum, wie ein Schauspieler zu sein und zu spielen hat. «Das ist heute noch so. Es dauert lange, bis ich drin bin in einer Rolle. Ich brauche viele Umwege, und immer interessiert mich nicht nur die Rolle, sondern auch der Hintergrund der Figuren.»

Dabei knüpft er an dem an, was er an der Universität gelernt hat. Etwa an den Ausführungen des Ethnologen Mario Erdheim zum «wilden Denken», die sich ganz gut aufs Theater übertragen lassen: «Es gibt nicht nur eine einzige Möglichkeit, eine Rolle zu deuten, sondern viele. Und es kann jedem Schauspieler alles zustossen auf der Bühne.»

Der Weg nach Wien

Als aktiv mitdenkender Schauspieler überschreitet Roland Koch hier schon die Grenze zum Regisseur. Deshalb ist das Regieführen eine konsequente Weiterführung dessen, was er als Schauspieler erfahren hat. «Ich verstehe sehr rasch, wo es <klemmt>», sagt er, «und ich weiss auch, wie ich mit Schauspielern umgehen muss.» Der eigene Werdegang hilft. Für viele sei es ein schmerzhafter Vorgang, sich zu präsentieren. «Aus diesem Schmerz entsteht Glaubwürdigkeit. Schauspieler, die aus einem Geltungsbedürfnis heraus spielen, sind meistens nicht so interessant.»

Im Zentrum der Theaterkunst

Seine eigene Schauspielerkarriere verläuft steil und spektakulär. Roland Koch bekommt Engagements an den Theatern Celle, Konstanz, an der Berliner Volksbühne und am Münchner Residenztheater, bevor er 1999 dem Regisseur Andreas Kriegenburg ans Wiener Burgtheater folgt, das, wie er selber sagt, «kein normales Theater ist».

Er hat das schon auf dem Weg zu den Vertragsverhandlungen gespürt. «Je näher ich dem Gebäude kam, desto kleiner wurde ich.» Denn hier, in Wien, wo er mittlerweile sogar Ensemblesprecher ist, findet Koch sich im Zentrum der Theaterkunst wieder. Ihm sitzt ein Publikum gegenüber, das diese Kunst liebt, sie aber auch sehr fachkundig beurteilt. Und er betritt eine Bühne, die Ausserordentliches verlangt. «Du wirst verglichen mit Generationen von Burgschauspielern. Da kann ich nicht rausgehen und einfach so spielen.» Es ist eine Bühne, die ihn existenziell fordert. «Wenn alle Qualitäten des Hauses zusammenkommen, dann können wir die Kuh zum Fliegen bringen», sagt Roland Koch auf seine bildhafte Art und Weise.

Was besonders auffällt an diesem Mann, der mit Schwung und Energie erzählt, während die Hauptprobe zu Moritz Rinkes «Wir lieben und wissen nichts» näher rückt, ist seine ausgeprägte Neigung, den eigenen Zaun immer ein wenig weiter zu stecken. Nicht nur Theater zu spielen, sondern auch Regie zu führen. Nicht nur die Theaterbühne zu erobern, sondern auch den Film und das Fernsehen.

Die Liebesszene

Er hat da bei der Filmerei seine eigene Taktik, kommt gut vorbereitet daher – und setzt sich mit seinen Angeboten leicht durch. «Beim Fernsehen muss man auch einfach eine gute Zeit haben miteinander», sagt er. Denn es sei auch schön, aus dem Alltag gerissen zu werden, ein paar Wochen mit Menschen zu verbringen, die man nicht kennt. «Am Abend reist man an, und schon am andern Morgen um sieben hat man eine Liebesszene mit einer Frau, die man noch nie gesehen hat. Man klärt kurz, ob man einander duzt, und fragt dann, wo man sie nicht berühren darf. Dann geht es los – und sieht am Ende meistens super aus.»