«Dies ist mein Bauch»

Slammen und Schwingen 1500 Besucherinnen und Besucher machten die Poetry-Slam-Schweizer-Meisterschaften in St. Gallen zum kulturellen Prachtsevent. Am Ende zeigt sich: Gabriel Vetter ist eine Klasse für sich. Michael Hasler

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Gabriel Vetter schwitzt und siegt in der Grabenhalle. (Bild: Michel Canonica)

Gabriel Vetter schwitzt und siegt in der Grabenhalle. (Bild: Michel Canonica)

Poetry-Slam ist so ziemlich wie Schwingen. Zwar sind es keine muskelbepackten Arme und stämmig-dynamische Beine, die den Gegner niederringen sollen; doch das Ziel bleibt letztlich das gleiche: am Ende kann es nur einen König geben. Und obwohl «Familie» oder «familiär» sicher in keinem Slam-Lexikon gern gesehene Worte sind, erweist sich das samstagabendliche Finale in der St. Galler Grabenhalle als ein grosses weltanschaulich konformes Kollektiv. Die Slam-Poeten sind eine ebenso eingeschworene Gemeinschaft wie das Publikum selbst. Jenes ist demographisch ähnlich abenteuerlos homogen wie bei einem Schwingfest. Auch ohne Passkontrolle dürfte sich der rein schweizerische Anteil auf über 90 Prozent belaufen, altersmässig im Gros näher bei 25 als bei 30 und politisch sicher linkslastiger als beim Unspunnen-Schwinget.

Grandioser Finaltag

Letztlich ist die Publikumskomposition ebenso einerlei wie die Frage, ob denn Poetry-Slam Literatur sei oder zu nahe an den populären Comedyströmungen schramme. Wichtiger als eine puristische Diskursanalyse ist der gelungene Event an sich. «Natürlich geht es bei einer Schweizer Meisterschaft mehr als bei anderen Events darum zu gewinnen, doch der gemeinsame Event und die Party steht im Vordergrund», erklärt Organisator Lukas Hofstetter Samstagnacht knapp vor Mitternacht zufrieden.

Der umtriebige Eventorganisator hat allen Grund dazu, mit sich und der Welt im reinen zu sein. 1500 Besucherinnen und Besucher wollten die insgesamt fünf Slam-Events über zwei Tage hinweg an drei verschiedenen Lokalitäten (Hauptpost, Theater-Studio und Grabenhalle) sehen.

Am Samstagabend knapp vor acht Uhr erreichen die Meisterschaften ihren Höhepunkt. Das Ausgehpublikum schlängelt sich vom Grabenhalleneingang bis zum Palace-Zebrastreifen. 200 bis 300 Interessierte müssen nach Hause geschickt werden – die Grabenhalle ist längst ausverkauft – der Sauerstoff wird knapp, die Temperaturen werden subtropisch – weh dem, der einen Nachbarn ohne ausdauerndes Deo neben sich hat.

Rasante Gangart

Der Modus der Slam-Wortschlacht ist auch bei den Schweizer Meisterschaften der gleiche wie bei gängigen Events. Eine Publikumsjury entscheidet über Finaleinzug oder nicht, beim auf drei Protagonisten beschränkten Endkampf entscheidet der Publikumsapplaus. Bereits nach wenigen Performances ist klar, dass auch die Schweizer Meisterschaften zu einer gnadenlosen Pointenschlacht verkommen. Das Niveau ist hoch, die sprachliche Gangart rasend, doch für Sätze flaubert'scher Schönheit bleibt in den sechsminütigen Wortejakulationen definitiv keine Zeit.

Laurin Buser aus Basel ist so etwas wie ein Blue-Chip unter den Slampoeten: immer gut, immer treffsicher, immer pointenreich. Und obwohl nach seinem wahnwitzig schnellen Sprechgesang-Rap über das Weggehen und das Reisen nicht viel mehr als seine Tempozäsur «Bitchfresse!» bleibt, wuchtet er sich ins Finale. Dort trifft er auf Gabriel Vetter, der Metzgerlehrlinge ins Kunstmuseum schickt und dort aberwitzig einen historischen Diskurs über die Wurst ausbreiten lässt. Schliesslich schafft es mit der Titelverteidigerin Lara Stoll tatsächlich eine Frau, den männerlastigen Finalwettbewerb aufzubrechen.

Vetter in eigener Liga

Im letzten Gang bewegt sich Slam-Urgestein Gabriel Vetter in einer anderen Liga. Während Buser mit einem «coolen Text über Umweltschutz» ringt und Stoll ein Lamento über die Liebe ausbreitet, beschwört der Basler Champion lustvoll seine Körperfülle. «Dies ist mein Bauch... dies ist mein Lebenswerk», heisst es an einer Stelle. Am Ende gewinnt der klar Beste, das ist beim Slam nicht immer so. Vetter schwitzt und mit ihm das Publikum. Seine Slamkollegen schenken ihm eine Welle und schultern ihn: ganz wie beim Schwingen, irgendwie.