Die Schweiz soll laut einer aktuellen Umfrage auch künftig auf Atomkraft setzen. Dies befürworten vor allem jüngere Befragte. Wer von den Zurzibieter Grossrätinnen und Grossräten neue Kernkraftwerke fordert und was sie von verlängerten Laufzeiten halten.
Am 11. März 2011 kam es zur Atomkatastrophe in Fukushima. Die Kernkraft sei nicht die Zukunft, sagte die damalige CVP-Bundesrätin Doris Leuthard und leitete als Folge des Unfalls den Ausstieg aus der Kernenergie ein. Inzwischen ist die Welt eine andere. Der Ukraine-Krieg hat zur einer Energiemangellage geführt. Und plötzlich geniesst die Kernkraft wieder einen Rückhalt in der Bevölkerung.
Zu diesem Schluss kommt der «Blick» nach der Auswertung einer von der Zeitung beauftragten Umfrage. Gemäss der Erhebung des Forschungsinstituts Sotomo bejahen 55 Prozent der insgesamt rund 9000 befragten Stimmberechtigten aus der Deutsch- und Westschweiz eine wichtige Rolle der Atomkraftwerke bei der Lösung des Stromengpasses in der Schweiz.
Damit liegt laut der Umfrage die Kernkraft mit 55 Prozent bei den Befragten auf Platz drei hinter Solaranlagen an Gebäuden mit 77 Prozent und grossen Windkraftanlagen mit 74 Prozent. Vor rund fünf Jahren sagte das Volk noch mit 58 Prozent Ja zur Energiestrategie 2050 und damit zum Ausstieg aus der Atomkraft.
Hat die Versorgungsunsicherheit auch bei den Politikerinnen und Politkern aus dem AKW-Bezirk Zurzach mit seinen drei Kernkraftwerken (Beznau 1 +2, Leibstadt) zu einem Meinungsumschwung geführt? «Nein. Ich habe schon immer, auch während des Unfalls in Fukushima und der anschliessenden Diskussion, gesagt, dass wir früher oder später wieder über neue Kernkraftwerk diskutieren werden», sagt Hansjörg Erne von der SVP. Die Strommangellage habe nicht einmal etwas mit dem Krieg zu tun. Letzterer mache das Problem nur besser und schneller sichtbar, so Erne.
Der Landwirt aus dem Leuggemer Ortsteil Hettenschwil schlägt vor, dass bei Beznau ein Weiterbetrieb geprüft und koordiniert werden soll. Und empfiehlt, zu klären, wie schnell ein neuer Reaktor gebaut werden könne. Sein Parteikollege Patrick Gosteli sagt: «Ein Bau eines Kernkraftwerks neuester Generation habe ich immer befürwortet.»
Auch René Huber, notabene in derselben Partei wie die frühere Energieministerin Doris Leuthard, steht hinter der Kernenergie: «Aufgrund der veränderten geopolitischen Lage und dem Klimawandel erst recht.» Der Leuggemer Spitaldirektor ergänzt, dass am technologischen Fortschritt im Bereich der Kernenergie weitergeforscht und parallel auch die Entwicklung der erneuerbaren Energie und insbesondere der Ausbau der Wasserkraft gefördert und vorangetrieben werden soll. «Die mögliche Strommangellage bestätigt, dass wir in Zukunft verstärkt auf die Eigenproduktion setzen müssen. Die Abhängigkeit vom Ausland könnte fatale Folgen haben.»
Ähnlich sieht das Claudia Hauser (FDP): «Neben dem deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien und der Wasserkraft sind wir darauf angewiesen, in den nächsten Jahrzehnten deutlich mehr Strom zu produzieren.» Nur mit neuen Kernkraftwerken könnten die fossilen Energien durch einen CO2-armen Strommix ersetzen werden. «Die Kernenergie soll ein wichtiger Bestandteil des Strommixes in der Schweiz sein.» Sie fordert deshalb: «Wir müssen jetzt das Kernenergieverbot aufheben, damit sich Investitionen in die Forschung und Planung neuer Kernkraftwerke lohnen.»
Weshalb der Bezirk so offen gegenüber AKWs ist, erklärt Monika Baumgartner von der Mitte. «Im Zurzibiet gehören die AKWs zum täglichen Leben, und das seit vielen Jahrzehnten.» Man habe sich nicht daran gewöhnt, sondern habe Vertrauen in die Technologie, die Betreiber und die Sicherheit aufgebaut. «Das ist der grosse Verdienst der Verantwortlichen, der Mitarbeitenden und der Aufsichtsbehörde.» Deshalb habe sich auch ihre Einstellung gegenüber den AKWs aufgrund der veränderten Weltlage nicht geändert.
Klar gegen die Atomkraft sind Hanspeter Hubmann (SP) und Isabelle Schmid (Grüne) – jetzt noch mehr als zuvor. «Die Verletzlichkeit der Anlage Saporischschja zeigt die Gefahren noch deutlicher auf, als das schon bekannt war», sagt der Schneisinger. Das ukrainische Kernkraftwerk, unterdessen in russischer Hand, war hart umkämpft, die Angst vor einer Nuklearkatastrophe gross. Inzwischen sind alle Reaktoren im grössten AKW der Welt abgestellt und werden nur noch gekühlt und überwacht.
Die Grüne-Grossrätin aus Tegerfelden ergänzt, dass es für die hohen Strompreise das Auseinanderlaufen von Angebot und Nachfrage reflektiere. Sie kritisiert den langsamen Ausbau von CO2-neutraler Energie wie Photovoltaik und Wind, was die Situation um die Energiemangellage und die hohen Preise verschärfe.
Isabelle Schmid verweist zudem auf ein Statement der Axpo, wonach das Volk den Atomausstieg beschlossen habe und dieser ohnehin zu teuer sei: Eine Megawattstunde aus einer neuen Photovoltaikanlage in Frankreich koste rund 50 Euro, die Kernkraft sei etwa doppelt so teuer.
Einig sind sich die sieben Zurzibieter Grossrätinnen und Grossräte in einem Punkt: Für alle ist eine längere Laufzeit denkbar – sofern die Sicherheit gewährleistet ist. Für Hanspeter Hubmann ist aber klar: «Auf Planung und Bau weiterer AKW ist auf jeden Fall zu verzichten.» Und Isabelle Schmid ergänzt, dass sie spätestens ab 2050 primär durch Photovoltaik und Wind, Biogas und andere neue Technologien ersetzt werden sollen.