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Der Aargauer Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati sagt, dass bald auch unter 65-Jährige geimpft werden könnten – obwohl der Kanton im Mai massiv weniger Impfstoff erhält als erwartet. Zudem grenzt sich der SVP-Regierungsrat entschieden gegenüber dem Diktatur-Vorwurf seiner Partei an den Bundesrat ab.
Schon seit Wochen bezeichnet die SVP die Schweiz als Coronadiktatur, in der nur der Bundesrat bestimme. In der Debatte des Nationalrats über das Covid-19-Gesetz am Montagabend wiederholte Magdalena Martullo-Blocher diesen Vorwurf. Zudem hielt die SVP an ihrem Antrag fest, den
22. März als fixen Termin für die Öffnung der Restaurants ins Gesetz zu schreiben.
Der Aargauer Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati ist als SVP-Mann ein Parteikollege von Martullo-Blocher – doch er distanziert sich im «Talk Täglich» bei Tele M1 entschieden vom Diktaturvorwurf.
In der Sendung vom Dienstagabend sagte er gegenüber AZ-Chefredaktor und Moderator Rolf Cavalli: «Wenn wir in einer Diktatur leben würden, hätte sie diese Aussage gar nicht machen dürfen.» Und er geht noch weiter:
«Wahrscheinlich ist die Firma von Frau Martullo-Blocher einer Diktatur ähnlicher als unser Bundesstaat.»
Man könne trotz aller Coronamassnahmen in der Schweiz nicht von einer Diktatur reden, hält Gallati fest. «Es gilt immer noch die freie Meinungsäusserung, man kann den Bundesrat oder den Regierungsrat kritisieren, ohne dass einem etwas passiert – und das ist auch richtig so», betont der SVP-Gesundheitsdirektor.
Bevor er im Januar 2020 sein Amt als Regierungsrat im Aargau antrat, sass Gallati kurz als gewählter Nationalrat im Bundeshaus. Auf die Frage, ob er heute in dieser Funktion dem SVP-Antrag zugestimmt hätte, ein fixes Datum für die Öffnung der Restaurants festzuschreiben, sagt er: «Es wäre unseriös, das Ende einer Pandemie per Gesetz festlegen zu wollen.»
Der entsprechende Antrag seiner Partei sei «nicht die beste Idee» gewesen. «Es ist ja allen klar, dass die Pandemie nicht am 22. März einfach abgeschlossen ist», so Gallati weiter. Dies hätten inzwischen auch andere Parteien wie die FDP oder Die Mitte erfasst, welche den SVP-Antrag noch letzte Woche unterstützt hätten.
Auf die Frage von Moderator Cavalli, ob er von der Parteilinie der SVP abgewichen sei, entgegnet Gallati: «Es gibt keine Partei, die den Umgang mit einer Pandemie in ihrem Programm geregelt hat.» Auch die SVP habe vor einigen Jahren dem neuen Pandemiegesetz zugestimmt, das dem Bundesrat in dieser Situation grosse Vollmachten gebe.
Vieles passiere bei der Bewältigung der Pandemie sehr kurzfristig und aus dem Moment heraus – sowohl im Parlament als auch bei der Aargauer Kantonsregierung. Gallati:
«Ich kann Ihnen heute nicht sagen, was für einen Entscheid ich möglicherweise in einigen Tagen fälle.»
Unklarheiten und Fragezeichen gibt es laut dem Gesundheitsdirektor auch beim Impfprogramm, bei der Teststrategie und beim Contact-Tracing. «Wir könnten 35'000 Personen pro Woche impfen, die tatsächliche Zahl liegt aber derzeit nur bei 11'000, weil nicht genug Impfstoff vorhanden ist.» Momentan sind laut Gallati rund 60'000 Personen im Aargau für die Impfung angemeldet.
Doch die Angaben zur Lieferung der Impfdosen verändern sich offenbar fast täglich. Noch vor zwei Wochen, beim Besuch von Bundesrat Alain Berset im Aargau, hatte Gallati gesagt, der Kanton erwarte im Mai eine grosse Lieferung. Nun kündigt Gallati im «Talk Täglich» an, gemäss neuesten Informationen werde der Aargau im Mai rund 100'000 Dosen weniger erhalten als ursprünglich angekündigt und erwartet.
Trotzdem gab es auch gute Neuigkeiten zum Aargauer Impfprogramm: «Weil wir immer die Zweitimpfung in Reserve behalten, mussten wir noch nie einen Impftermin verschieben», erklärt Gallati. Er kündigt zudem an, dass die Gruppe der Personen, die zur Impfung berechtigt sind, im Aargau in den nächsten Tagen ausgeweitet werden könne. Bald dürften sich auch Personen ab 65 Jahren impfen lassen – dazu auch jüngere mit schweren Vorerkrankungen.
Die Talk-Sendung mit Jean-Pierre Gallati in voller Länge:
Zuletzt sind die täglichen Ansteckungszahlen im Aargau wieder leicht gestiegen, am Dienstag meldete der Kanton 97 Neuinfektionen. Mit höheren Coronazahlen könnte auch das Contact-Tracing wieder stärker gefordert werden – derzeit sind die rund 110 Angestellten dort laut Gallati nicht voll ausgelastet. Sie könnten pro Tag rund 500 bis 600 Fälle bewältigen und er hoffe nicht, dass der Kanton das Personal im «Conti» nochmals massiv aufstocken müsse.
Gallati sagt mit Blick auf die neue Teststrategie des Bundes – die ganze Bevölkerung soll ab dem 15. März fünf Gratistests pro Monat erhalten – erst ein positiver PCR-Test müsse dem Contact-Tracing-Center gemeldet werden. Wie genau die Testoffensive ablaufen soll, kann der Aargauer Gesundheitsdirektor noch nicht sagen. «Ich glaube nicht, dass jeder Aargauer am nächsten Montag fünf Tests bei sich im Briefkasten hat oder bei der Apotheke abholen kann.» Auch der Regierungsrat habe noch einige Fragen, diese habe man dem Bundesrat gestellt, so Gallati.
Das laufende Pilotprojekt des Kantons, das zuerst Massentests in Schulen und Heimen und später eine Ausweitung auf Firmen vorsieht, wird laut Gallati parallel zur Testoffensive des Bundes bis Ende März weitergeführt. Es sei wichtig, möglichst viele Corona-Infizierte ohne Symptome zu identifizieren, damit diese nicht weitere Personen ansteckten und das Virus verbreiteten.
Eine klare Meinung hat Gallati, wenn es um Privilegien von negativ getesteten oder geimpften Personen geht. Es brauche schweizweite gesetzliche Vorgaben, zum Beispiel für Veranstaltungen, Restaurantbesuche oder Auslandreisen. «Damit die Wirtschaft und das soziale Leben möglichst rasch wieder in Gang kommen, wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, solche Regeln festzulegen», sagt Gallati.
Dass dadurch Menschen von gewissen Angeboten ausgeschlossen würden, die sich nicht testen oder impfen lassen wollen, müsse man in Kauf nehmen. Diese Leute würden ja freiwillig auf Privilegien verzichten, deshalb sehe er hier kein Problem, argumentierte der Regierungsrat.